Die schöne Ärztin
Garten des kleinen Siedlungshäuschens und hing Wäsche auf. Ein Steiger erbot sich, es ihr zu sagen. Man brauchte dazu nicht viele Worte. Wer mit dem Berg lebte, wußte, daß es eine ständige Todfeindschaft zwischen Mensch und Gestein gab.
Im niedergebrochenen Stollenstück arbeiteten sie unterdessen wie die Besessenen. Meter um Meter kroch man vor, stützte ab, sicherte und räumte weiter. Ab und zu klopften die Verschütteten, und für die Retter war das immer wieder Anfeuerung genug, nicht müde zu werden, nicht auf das Erlahmen der eigenen Knochen zu achten, nicht dem rasenden Herzschlag nachzugeben und zu rasten.
Oben, vor der Kaue, warteten drei Krankenwagen. Auf den anderen Sohlen ging die Arbeit weiter. Elektriker fuhren ein, um die unterbrochenen Leitungen wieder zu flicken. Niemand schenkte der kleinen Gruppe von Steigern und den beiden Ärzten am Seilscheibengerüst sonderliche Beachtung. Es war ein alltäglicher Unfall, ein Strebbruch, na was denn? Keine schlagenden Wetter, keine Explosion, kein Grubenbrand, keine Giftgase. Es hatten sich nur ein paar die Knochen gequetscht. Was soll's?
Fritz Sassen stand im Direktionszimmer seinem Vater gegenüber. Er hatte ihm von dem Unglücksfall berichtet, und Dr. Ludwig Sassen war erstaunt, daß sein Sohn soviel Aufhebens von der simplen Sache machte.
»Es ist der sechste Unfall in zehn Tagen, Vater«, sagte Fritz Sassen.
»Du wirst nachprüfen, wie das geschehen konnte. Irgendeiner hat die Strecke ungenügend abgesichert. Wer ist zuständig?«
»Obersteiger Wülland.« Dr. Fritz Sassen schüttelte den Kopf, als sein Vater zum Telefon griff. »Laß das, Vater! Man kann nicht alles auf die Kleinen abwälzen.«
»Wie redest du mit mir?« Dr. Sassen ließ die Hand auf dem Hörer liegen. Seine Stimme war scharf, voll jener Kälte, die den militärischen Umgangston auszeichnet.
»Was soll das?!«
»Man sollte den ganzen Schacht V auf Sicherheit durchkontrollieren, Vater.«
»Alle Sohlen, was?«
»Ja. Die befahrenen und auch die Bergeversätze.«
Direktor Dr. Sassen sah seinen Sohn stumm und forschend an, als habe er einen Phantasten vor sich, mit dem er nichts anzufangen wußte. Den ganzen Berg kontrollieren, dachte er. Ich bin mit der Kohle groß geworden, und ich soll mir von einem jungen Schlips sagen lassen, daß ich etwas falsch mache!
»Wo ist Dr. Pillnitz?« fragte er plötzlich.
»In der Kaue. Er wartet auf die Eingeschlossenen. Dem geborgenen Hauer Blondaski werden wohl beide Beine amputiert werden müssen.«
»Ich werde dem Personalchef Bescheid sagen, daß die Unterstützungskasse eingreift.« Dr. Sassen setzte sich. Er fühlte sich schlapp. Die Segelpartie am Sonntag hatte ihn mehr angestrengt, als er wahrhaben wollte. Veronika war unersättlich in ihrem Hunger nach Luft und Bewegung gewesen. Er hatte vor dem Wind hin und her segeln und raffen und setzen und steuern müssen, bis er erschöpft darum gebeten hatte, eine Pause einzulegen. Da hatte Veronika selbst die Segelleinen in die Hände genommen und die Jacht über den See getrieben.
»Bitte Dr. Pillnitz zu mir«, sagte er mit gewollt forscher Stimme. Aber als Fritz Sassen das Zimmer verlassen hatte, sank er in sich zusammen und preßte die Hand auf das Herz. Man ist keine dreißig mehr, dachte er. Man kann sich selbst nicht betrügen …
Er wartete, aber Dr. Pillnitz erschien nicht. Von der Kaue wurde später angerufen, daß der Arzt sich um die geborgenen Verletzten kümmern müsse und später käme. Dr. Sassen sagte kurz »Danke!« und legte auf. Er sah auf die Uhr und ließ sich mit seiner Villa verbinden.
Veronika war nicht im Haus. Sie war ausgefahren, ohne ein Ziel anzugeben.
An diesem Unglückstage hatte Luigi Cabanazzi keine Lust, einzufahren. Er hatte sich krank gemeldet, und zwar zahnkrank. Da es auf Zeche Emma II keine eigene Zahnstation gab, war es nicht zu vermeiden, daß er sein Rad bestieg und das Lager verließ. In Buschhausen gab es zwei Dentisten, und weil sich Cabanazzi beide Namen hatte aufschreiben lassen, nahm man an, er würde in Kürze mit offenem Mund in einem der berüchtigten Marterstühle sitzen.
Luigi Cabanazzi aber fuhr nicht nach Buschhausen, sondern lenkte sein Rad um den Ort herum, machte einen weiten Bogen, kehrte zu dem Kuschelgelände der aufgeforsteten Halden zurück und erreichte den Birkenwald, der an den Park der Sassen-Villa grenzte.
Hier lehnte er das Rad an den Zaun, holte eine Zigarette aus der Packung und begann zu rauchen. Für den Gang
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