Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Kette hoch!« rief Marc. »Und laß sie nicht wieder runter! Keinen Rückstoß, sonst laß ich ihn fallen!«
    Seine Stimme hallte wider und betäubte ihn. Vielleicht waren auch seine Ohren gefühllos geworden.
    Er hörte metallische Geräusche. Lucien löste den Knoten und hielt die Spannung, damit Marc nicht wieder hinunterrutschte. Lucien war gut, sehr gut. Und langsam bewegte sich die Kette nach oben.
    »Weiter, Lucien, Stück für Stück!« rief Marc. »Er ist schwer wie ein Auerochse!«
    »Ist er ertrunken?«
    »Nein! Roll auf, Soldat!«
    »Du hast gut reden!«
    Marc packte Mathias an der Hose. Mathias trug statt eines Gürtels eine dicke Schnur, die sich gut greifen und festhalten ließ. Das war das einzig Gute, was Marc in diesem Augenblick an dieser rustikalen Kordel fand, mit der sich Mathias gürtete. Der Kopf des Sammlers und Jägers stieß leicht gegen die Brunnenwand, aber Marc sah, wie der Brunnenrand näher kam. Lucien zog Mathias heraus und legte ihn auf den Boden. Marc kletterte über den Rand und ließ sich ins Gras fallen. Er verzog das Gesicht und wickelte die Kette von seinem Arm. Er blutete.
    »Da, wickle meine Jacke drum«, sagte Lucien.
    »Hast du nichts gehört?«
    »Niemanden. Dein Onkel kommt.«
    »Der hat ja ganz schön lange gebraucht. Gib Mathias ein paar Ohrfeigen und reib ihn ab. Ich glaube, er ist gerade wieder abgetaucht.«
    Leguennec kam als erster angerannt und kniete sich zu Mathias. Er hatte eine Taschenlampe.
    Marc erhob sich, hielt sich den Arm, der sich anfühlte wie ein formloser Klumpen, und ging zu den sechs Polizisten.
    »Ich bin sicher, daß sie sich in dem kleinen Gehölz versteckt hat«, sagte er. Zehn Minuten später fand man Juliette. Zwei Männer brachten sie und hielten sie am Arm. Sie wirkte erschöpft und war voller Schrammen und blauer Flecke.
    »Sie hat...«, keuchte Juliette, »ich bin weggerannt...«
    Marc stürzte sich auf sie und packte sie an der Schulter.
    »Halt’s Maul!« brüllte er und schüttelte sie. »Halt’s Maul!«
    »Sollen wir einschreiten?« fragte Leguennec Vandoosler.
    »Nein«, erwiderte Vandoosler leise. »Keine Gefahr, laß ihn machen. Das ist sein Ding, seine Entdeckung. Ich hatte sowas geahnt, aber...«
    »Du hättest mir was sagen sollen, Vandoosler.«
    »Ich war mir noch nicht sicher. Die Mediävisten haben so ihre Kniffe, wirklich. Wenn Marc einmal anfängt, klar zu denken, dann schießt er direkt aufs Ziel zu... Er sammelt Gutes wie Schlechtes ungeordnet auf – und mit einem Schlag richtet er sich plötzlich auf’s Ziel aus.«
    Leguennec sah zu Marc hinüber, der Juliette immer noch schüttelte. In der Dunkelheit wirkte sein Gesicht weiß und starr. Er schüttelte sie mit der Hand, an der die Ringe glänzten, mit einer großen Hand, die sich um Juliettes Schulter geschlossen hatte und sehr gefährlich aussah.
    »Und wenn er ausrastet?«
    »Er rastet nicht aus.«
    Leguennec gab seinen Männern trotzdem ein Zeichen, und sie stellten sich im Kreis um Marc und Juliette.
    »Ich geh zurück und kümmere mich um Mathias«, sagte er. »Er hat das alles nur um Haaresbreite überlebt.«
    Vandoosler erinnerte sich, daß Leguennec zu seiner Zeit als Fischer auch bei der Seerettung gewesen war. Wasser, es ist doch immer wieder Wasser.
    Marc hatte Juliette losgelassen und starrte sie an. Sie war häßlich, sie war schön. Ihm war schlecht. Vielleicht der Rum? Sie machte nicht die kleinste Bewegung. Marc zitterte. Seine durchweichten Sachen klebten ihm am Körper, er fror durch und durch. Langsam suchten seine Augen unter den dichtgedrängt stehenden Männern in der Dunkelheit nach Leguennec. Er sah ihn etwas weiter entfernt bei Mathias.
    »Inspektor«, flüsterte er, »ordnen Sie an, daß unter dem Baum gesucht wird. Ich glaube, da liegt sie.«
    »Unter dem Baum?« fragte Leguennec. »Da haben wir doch schon gegraben.«
    »Genau deswegen«, erklärte Marc. »Die Stelle, die schon untersucht worden ist, die Stelle, an der nie mehr gesucht werden wird... Dort liegt Sophia.«
    Jetzt schlotterte Marc so richtig. Er fand die kleine Rumflasche und trank das letzte Viertel. Er spürte, wie sein Kopf anfing, sich zu drehen, er hätte sich gewünscht, daß Mathias Feuer für ihn machen würde, aber Mathias lag auf der Erde, er hätte sich auch gerne hingelegt, vielleicht auch gerne ein Weilchen gebrüllt. Er wischte sich mit dem durchnäßten Ärmel seines linken Arms, der noch funktionierte, die Stirn ab. Der andere Arm hing leblos herunter, und Blut

Weitere Kostenlose Bücher