Die schöne Rivalin
»Das also ist St. Tropez!« sagte Thomas Bruckmann.
Er hatte den Wagen nach einer Kurve angehalten und stieg aus. Irene und Sonja, seine Frau und seine Tochter, kletterten ebenfalls aus dem Auto und sahen sich um. Hinter ihnen stießen die Berge der Monts des Maures in den unwahrscheinlich blauen Himmel. Vor ihnen lag die Küste, felsig, mit kleinen Buchten und hellen Strandflecken. Das Meer schäumte gegen die Klippen, und die Sonne tauchte die weißen Luxusvillen auf den Felsen in ein goldenes Licht. Auf einem Vorsprung zwischen zwei Buchten lag St. Tropez, ehemals ein kleines Fischerdorf, nun der Traum von Reichtum und Eleganz, ein Tummelplatz der Industriellen, Manager, Schauspieler und Playboys.
»Schön ist es hier«, sagte Sonja. Sie trug lange Hosen und ein schwarzes Polohemd. Das blonde Haar flatterte unter ihrem Hut hervor. Bruckmann sah seine Tochter an und dachte: Die Hose ist zu eng, das Hemd zu ausgeschnitten, die Haare sind zu lang. Aber sage einer einmal so was zu seiner achtzehnjährigen Tochter! Sofort gilt man als unmodern und verkalkt. Auch Irene fängt ja schon an, sich ganz auf den Süden einzustellen, trägt einen weiten Rock und einen engen Pulli. Immerhin, sie kann es sich leisten. Sie sieht mit ihren 42 Jahren noch verteufelt jung aus. Und auch die Figur ist noch wundervoll. Wenn man Mutter und Tochter so nebeneinander sieht – es ist eine Augenweide für einen Mann! Ob Frauen unter südlicher Sonne aufblühen? In Hamburg hatte er kaum bemerkt, wie hübsch seine Frau noch war.
Er sah an sich hinunter. Was mich betrifft: Ich habe einen Bauchansatz; wenn ich zehn Minuten gehe, tun mir die Füße und Waden weh.
Thomas Bruckmann saß während des ganzes Jahres nur im Auto oder hinter dem Schreibtisch. So war das nun mal, was sollte man da machen? Jetzt allerdings, wo er in wenigen Minuten in eine Welt eintreten würde, in der Schönheit selbstverständlich war, kam er sich ein wenig als Außenseiter vor. Um ehrlich zu sein: Bruckmann wäre auch nie nach St. Tropez gefahren, hätte er nicht das Angebot erhalten, die Einrichtung eines alten Schlosses aufzukaufen. Es sollten echte Möbel aus mehreren Jahrhunderten darunter sein und wundervolle Vasen.
Das hatte dem Herz des Kunsthändlers Bruckmann einen Ruck gegeben. Und seiner Familie konnte er gar keine größere Freude machen. Als er Irene und Sonja vor vier Wochen verkündete: »Wir fahren zum Urlaub nach St. Tropez!«, da hatte seine Tochter einen hellen Schrei des Entzückens ausgestoßen, und seine Frau hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gestöhnt: »Das verrätst du erst jetzt? Wie soll die Schneiderin bis dahin alles schaffen?«
Und nun standen sie oben auf der Höhenstraße, und die Märchenstadt St. Tropez lag vor ihnen in der Sonne.
Irene Bruckmann legte die Hand wie einen Schirm vor die Augen, blickte über das Meer und fragte: »Mieten wir uns ein Segelboot, Thomas?« Seit ihrer Kindheit war es ein stiller Traum von ihr, unter einem flatternden Segel lautlos über das blaue Meer zu gleiten.
»Ich verstehe nichts vom Segeln«, sagte Bruckmann.
»Man kann auch Boote mit Führern mieten«, meinte Sonja; »noch schöner ist ein schnittiges Motorboot.«
»Benzingestank hast du im Auto genug«, wehrte Bruckmann ab.
»Aber nicht auf dem Mittelmeer!« Sonja und ihre Mutter wechselten einen schnellen Blick. Der Alte! Rückständig wie seine Antiquitäten! Ob Berufe so stark abfärben?
»Fahren wir!« schlug Bruckmann vor, um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen. »Wenn es euch beruhigt: Das Hotel Miramare liegt direkt am Strand.« Er stieg wieder in seinen Wagen und wartete, bis auch seine Familie eingestiegen war. »Von oben sieht alles herrlich aus. In spätestens zwei Wochen habt ihr es satt und findet alles langweilig. Ich kenne das doch. Das war bei euch immer so im Urlaub.«
»Wir waren aber noch nie in St. Tropez«, sagte Irene spitz.
Und Sonja fügte hinzu: »In St. Tropez ist jede Stunde ein Abenteuer. Du wirst es sehen, Papa!«
Sie sollte recht behalten. Es kamen so viele Abenteuer auf die Familie Bruckmann zu, daß sie für ein ganzes Leben reichten.
Die ersten Tage waren angefüllt mit Schauen, mit Wanderungen durch die Gassen und an den Fenstern der Boutiquen vorbei. Die Augen Irenes und Sonjas glänzten vor Begeisterung. Sie hatten traumhafte Schuhe gesehen, Kleider aus handbemalten Stoffen und atemberaubende Bikinis. Trotz unwilligen Knurrens ihres Vaters kaufte sich Sonja eine schicke
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