Die schönsten Erzählungen
hineingetrieben habe. Sie schrieb auch ein Brieflein an ihn, worin sie ihn ihres unveränderten Zutrauens versicherte und die Hoffnung aussprach, er werde gerade in der unverdienten Härte seines Urteils eine Mahnung sehen, sich innerlich ungebeugt und unverbittert für bessere Tage zu erhalten. Allein dann fand sie wieder, es sei kein Grund vorhanden, an Matthias zu zweifeln, und sie müsse es nun erst recht darauf ankommen lassen, wie er die Probe bestehe. Und sie legte den geschriebenen Brief, ohne ihn nochmals anzusehen, in ein Fach ihres Schreibtisches, das sie sorgfältig verschloß.
Über alledem war es längst völlig Herbst geworden und der Wein schon gekeltert, als nach einigen trüben Wochen der Spätherbst noch einmal warme, blaue, zart verklärte Tage brachte. Friedlich lag, vom Wasser in gebrochenen Linien gespiegelt, an der Biegung des grünen Flusses das alte Kloster und schaute mit vielen Fensterscheiben in den zartgolden blühenden Tag. Da zog in dem schönen Spätherbstwetter wieder einmal ein trauriges Trüpplein unter der Führung einiger bewaffneter Landjäger auf dem hohen Weg überm steilen Ufer dahin.
Unter den Gefangenen war auch der ehemalige Pater Matthias, der zuweilen den gesenkten Kopf aufrichtete und in die sonnige Weite des Tales und zum stillen Kloster hinunter sah. Er hatte keine guten Tage, aber seine Hoffnung stand immer wieder, von allen Zweifeln unzerstört, auf das Bild der hübschen blassen Frau gerichtet, deren Hand er vor dem bitteren Gang in die Schande gehalten und geküßt hatte. Und indem er unwillkürlich jenes Tages vor seiner Schicksalsreise gedachte, da er noch aus dem Schutz und Schatten des Klosters in Langeweile und Mißmut hier herübergeblickt hatte, da ging ein feines Lächeln über sein mager gewordenes Gesicht, und es schien ihm das halbzufriedene Damals keineswegs besser und wünschenswerter als das hoffnungsvolle Heute.
(1910)
Der Weltverbesserer
Berthold Reichardt war vierundzwanzig Jahre alt. Er hatte die Eltern früh verloren, und von seinen Erziehern hatte nur ein einziger Einfluß auf ihn bekommen, ein edler, doch fanatischer Mensch und frommer Freigeist, welcher dem Jüngling früh die Gewohnheit eines Denkens beibrachte, das bei scheinbarer Gerechtigkeit doch nicht ohne Hochmut den Dingen seine Form aufzwang. Nun wäre es für den jungen Menschen Zeit gewesen, seine Kräfte im Spiel der Welt zu versuchen, um ohne Hast sich nach dem ihm zukömmlichen und erreichbaren Lebensglück umzusehen, auf das er als ein gescheiter, hübscher und wohlhabender Mann gewiß nicht lange hätte zu warten brauchen.
Berthold hatte keinen bestimmten Beruf gewählt. Seinen Neigungen gemäß hatte er bei guten Lehrern, auf Reisen und aus Büchern Philosophie und Geschichte studiert mit einer Tendenz nach den ästhetischen Fächern. Sein ursprünglicher Wunsch, Baumeister zu werden, war dabei in den Studienjahren abwechselnd erkaltet und wieder aufgeflammt; schließlich war er bei der Kunstgeschichte stehengeblieben und hatte vorläufig seine Lehrjahre durch eine Doktorarbeit abgeschlossen. Als junger Doktor traf er nun in München ein, wo er am ehesten die Menschen und die Tätigkeit zu finden hoffte, zu denen seine Natur auf noch verdunkelten Wegen doch immer stärker hinstrebte. Er dürstete danach, am Entstehen neuer Zeiten und Werke mitzuraten und mitzubauen und im Werden und Emporkommen seiner Generation mitzuwachsen. Des Vorteiles, den jeder Friseurgehilfe hat: durch Beruf und Stellung von allem Anfang an ein festes, klares Verhältnis zum Leben und eine berechtigte Stelle im Gefüge der menschlichen Tätigkeiten zu haben, dieses Vorteils also mußte Berthold bei seinem Eintritt in die Welt und ins männliche Alter entraten.
In München, wo er schon früher ein Jahr als Student gelebt hatte, war der junge Doktor in mehreren Häusern eingeführt, hatte es aber mit den Begrüßungen und Besuchen nicht eilig, da er seinen Umgang in aller Freiheit suchen und unabhängig von früheren Verpflichtungen sein Leben einrichten wollte. Vor allem war erauf die Künstlerwelt begierig, welche zur Zeit eben wieder voll neuer Ideen gärte und beinahe täglich Zustände, Gesetze und Sitten entdeckte, welchen der Krieg zu erklären war.
Er geriet bald in näheren Umgang mit einem kleinen Kreise junger Künstler dieser Art. Man traf sich bei Tisch und im Kaffeehaus, bei öffentlichen Vorträgen und bald auch freundschaftlich in den Wohnungen und Ateliers, meistens in dem des
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