Die schoensten Weihnachtsgeschichten
strahlenden Tannenbaum und einem bunten Bescherungstisch werden alle Zweifel stumm und alle Kinderherzen gläubig.
DAS WUNDER DES TOLLATSCH
Mindestens einmal im Jahre, zu irgendwelchen Ferien, wie es grade kam, wurde ich von Tante und Onkel Lorenz eingeladen. Das vergaß Tante nie, obwohl ich gar nicht mit ihnen verwandt war. Ich war nur so ein Waisenkind, das ihnen einmal irgendwie in den Weg gelaufen war und dann nicht wieder vergessen wurde. Tante Lorenz – Anna – liebte ich sehr, ich fand, sie war solch natürlicher, offener, grader Mensch. Es war bewundernswert, wie sie ihrem großen Gutshaushalt vorstand, die vielen Kinder erzog, stets tätig, stets in Eile und doch immer, hatte eines ein wirkliches Anliegen, mit aller Zeit und Teilnahme von der Welt.
Für Onkel Lorenz – Hans – waren meine Gefühle schwankender. Er wanderte meistens stumm mit reichlich mürrischen Falten im Gesicht umher und hatte, erzählte man etwas, eine sehr erschreckende Art, plötzlich dazwischenzurufen: »Döskopp!« Pause. Man brach ab, erstarrte. »Jawohl! Döskopp!« Pause. »Nimm den Löffel, Döskopp, mit der Gabel schaffst du die Erbsen nie!« Und sich an mich wendend: »Du erzähltest, Mimi? Verzeih, dieser Franz ist ein völliger Döskopp.« – Zu andern Zeiten war er, was er wohl lustig und aufgeräumtnannte. Dann neckte er jedermann, vor allem Tante Anna, bis aufs Blut, erzählte etwa, wie es hier auf Baumgarten nach seinem Tode aussehen und welche Art Mann sich Tante Anna aussuchen würde – »nach den Erfahrungen mit mir!«.
Kurz und gut, Onkel Hans war mir etwas zu unübersichtlich und verzwickt. Hatte er mir aber einmal weh getan und sah Tante Anna mich heulen, sagte sie bloß: »Du bist doch ein rechtes Schaf, Mimi, und es wird wirklich Zeit, daß du aus der Hühnerwirtschaft von Pension und Seminar herauskommst und ein paar Männer kennenlernst. Männer haben nun einmal alle einen Sparren, und einen harmloseren als meinen Hans, der jedes Gefühl sogar vor sich selbst verstecken möchte, wirst du so leicht nicht finden!«
»Aber was haben denn meine rosa Zopfschleifen mit Onkel Hansens Gefühlen zu tun?!« rief ich klagend.
»Er hat vollkommen recht«, sagte Tante Anna plötzlich ziemlich spitz. »Du bist wirklich in dem Alter, wo du dir dein Haar anständig frisieren könntest, Mimi, Schnecke oder Dutt oder meinethalben auch Bubikopf, statt mit solchen Hängern wie eine fallenstellende Tochter Evas herumzulaufen. – Und jetzt, bitte, wasche dir das Gesicht und gehe in die Küche und stengele Johannisbeeren ab. Achtzig Pfund hat der Gärtner hereingeschickt, und Mamsell hat keine Ahnung, wie sie die bis Abend bewältigen soll.«
So waren meine Nennverwandten, die Lorenzens, und wie ich Jahr für Jahr zu ihnen kam, verlor Onkel Hans auch für mich manchen von seinen Schrecken. Richtignahe kam ich ihm aber erst am Weihnachtsabend, nein, in der Weihnachtsnacht 1927. Von da an nickte ich verständnisinnig mit dem Kopfe, wenn Tante Anna sagte: »Er ist eben ein Kauz. Laß ihn nur kauzen … Es macht ihm Spaß, und uns tut es nichts.« Zu jener Zeit war ich schon wohlbestallte, fest angestellte Lehrerin, lehrte die Mädchen und wehrte den Knaben, und auffallende, schmetterlingshafte Zopfschleifen lagen weit dahinten.
Durch irgendeinen Zufall war ich in jener Weihnachtsnacht mit Lorenzens ganz allein. Keines von den Kindern hatte zum Fest nach Haus kommen können, kein Besuch außer mir war, scheint’s, geladen worden. Und so saßen wir drei, ganz ungewohnt ruhig, unter dem brennenden Baum, erzählten uns sachte von verrauschten Festen, in denen dies große Zimmer laut gewesen war vom Jubel der Kinder, und waren schließlich ganz froh, als die Uhr auf Mitternacht ging. Tante Anna, immer die erste aus den Federn, war verschwunden, ich weiß nicht wie schnell. Onkel Hans schüttelte mir noch auf der großen, düsteren Diele die Hand, redete abgerissen vom Wetter und ließ mich nicht los.
»Gute Nacht, Onkel Hans«, sagte ich schließlich. »Schlaf gut und Dank für alles.«
»Ja, ja«, sagte er. »Schön. Ist in Ordnung. – Du kennst doch Tollatschen, Mimi?«
»Natürlich«, sagte ich sehr verblüfft; denn diese pommersch-mecklenburgische Schlachtespezialität war mir wohlbekannt. Aber was sollte das jetzt? »Es ist«, sagte er stockend und schien richtig ein bißchen verlegen, »esist gewissermaßen noch eine kleine Überraschung für deine Tante Anna. Würde es dir etwas ausmachen, jetzt in die Küche zu
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