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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Spur von Eitelkeit mischt, aber gerade dann sollten wir niemals auf gleichförmige
     und erwartbare Weise freundlich sein.
    Die ganz und gar gleichförmige und erwartbare Freundlichkeit, sagte ich, die einem überall entgegenschlägt, ist es, die einem
     jeden Urlaub verdirbt, und, wenn man es recht bedenkt, eigentlich auch schon das Leben zu Hause. Einige Wochen vor der Reise
     nach Barcelona hatte ich am Hauptbahnhof ein Plakat erblickt, das Teil einer städtischen Kampagne war. Abgebildet war eine
     große Sprechblase, in ihr stand »Wat kiekstn so, Fatzke«, was ironisch gemeint war. Berlin sollte durch Flyer, Aufkleber und
     Poster freundlicher werden. Ein Senatssprecher, wie ich dann wenige Tage darauf in einem Artikel mit Schrecken las, frohlockte:
     Man sei auf dem Weg zu einer Service-Stadt. Es ist schon so weit, sagte ich noch, dass ich richtig hässliche Zudringlichkeiten,
     die mir widerfahren, Flüche, sogar Tätlichkeiten der gleichförmigen und ganz und gar erwartbaren Freundlichkeit vorziehe.
    Ich erinnerte mich, während wir die Rambla dels Caputxins auf und ab gingen, an ein flüchtiges Bild der Kindheit: Aus kühner
     Lust an Reizung war ich eines Nachmittags in die Bäckerei unserer Straße getreten und hatte der Bäckerin gesagt, dass ihre
     Brötchen nicht schmeckten (mein Vater hatte dies, womöglich nicht einmal ernst gemeint, beiläufig am Küchentisch |218| beklagt). Sie hatte die Arme verschränkt und mit überraschender Schärfe gesagt, ich solle augenblicklich das Geschäft verlassen,
     niemand zwinge mich, hier einzukaufen, ich solle nicht auf die Idee kommen, mich noch einmal blicken zu lassen usw. Erblasst
     ging ich hinaus. Es bedurfte, wie man leicht begreift, des diplomatischen Aufwandes meiner Eltern, um die Ehrverletzung zu
     sühnen. Die völlig geschäftsuntüchtige Bäckersehre aber war nur die wunderbare Kehrseite der überschwänglichen Gastfreundschaft,
     die mir in Barcelona vor zehn Jahren zuteil wurde.
    Ich mag auf der Rambla dels Caputxins im vergangenen Sommer, auch aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun, hier und da
     die Dinge, wenn auch nur unwesentlich, zugespitzt haben, doch scheint mir tatsächlich, als sei Freundlichkeit einst dem Muster
     der Erotik gefolgt. Sie war eruptiver Natur, war geizloser Überfluss. Bisweilen musste sie erst zögerlich entkleidet, musste
     erobert, der keuschen Höflichkeit, dem Zeremoniell abgerungen werden.
    Das Rohe ist immer intim, wir lassen es nur vertrauensvoll zu, jede ungewollte Umarmung beschmutzt. Der Stalker bedrängt mit
     Blumensträußen die sich Sträubende. Jene von Kämmerern geplante Herzlichkeit aber, die einem noch in der entlegensten Tankstelle
     entgegenschlägt, würdigt jeden Bürger zum Kunden herab. Der Kunde wiederum entfaltet sogleich jenes hässliche Anspruchsdenken,
     das ihn eine erworbene Platzreservierung im Zug als Menschenrecht begreifen lässt. Er toleriert eine menschliche Nachlässigkeit
     der Erzieherin im privatisierten Kindergarten, den seine talentierte |219| Tochter besucht, nicht mehr. Dem Standesbeamten nötigt er jene feierliche Stimmung ab, mit der seine Service-Stadt wirbt.
     Unerlöster Zorn ist auf beiden Seiten der Front.
    Der Mensch ist immer und überall ein Verstellungskünstler. Er vermag es, einmal sich der Gabe der Verstellungskunst bewusst
     geworden, fein oder grob zu täuschen. Mit Ehre oder mit Gier. Mit gerechtem Zorn oder feiger Freundlichkeit. Mit der Fülle
     seiner Ausdrucksmöglichkeiten oder mit geschäftstüchtiger Abgerichtetheit. Mit dem Takt des aufmerksamen Verführers oder mit
     der rohen Aufdringlichkeit des Zukurzgekommenen.
    Taktlos ist jene Freundlichkeit, die ihren Zweck vulgär verrät. Sie ist roh, wie sie auch Rohheit gebiert. Wenn wir Schauspieler
     sind durch und durch, in nahezu jeder Faser unseres Daseins, wenn die Maske unsere zweite Natur ist, dann zeigt sich Freundlichkeit,
     der wir mit Freude verfallen, nur wie selbstvergessen.

|220| 3 HELLIGKEIT
    M eine Jugend war unfassbar düster. Ich erinnere mich noch genau an den außerhalb des Bauernhofs gelegenen Abort meiner Großeltern,
     zu dem ich mich nachts nur mit namenloser Furcht hinbewegte, da keine Lampe den Schotterweg beleuchtete. Ich erinnere mich
     an die Höhlen aus Holzstöcken und Decken, die ich mir im Zimmer provisorisch baute, um darin mich zu verstecken vor der herannahenden
     Erwachsenenwelt. An die dunkelsten Unterführungen und Hinterhöfe, in denen Tore geschossen wurden,

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