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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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angewurzelt im Innenhof stehen, schaute bald auf seine tintenbefleckten Hände, bald auf die Kalesche, die in Richtung der nächsten Hügelkuppe entschwand. Weder meine Mutter noch ich hatten den Mut, ihn anzusprechen.
    Am nächsten Morgen verstaute meine Mutter ihre kläglichen Habseligkeiten auf dem Eselskarren …
    Es war vorbei.
    Mein Leben lang werde ich mich an jenen Tag erinnern, an dem mein Vater durch den Spiegel ging. Es war ein fahler Tag mit fliehenden Horizonten und einer Sonne, die wie am Kreuz über den Bergen hing. Es ging gegen Mittag, doch ich hatte das Gefühl, mich in einem Helldunkel aufzulösen, in dem alles erstarrt war, aus dem sämtliche Geräusche sich verflüchtigt hatten, sich das Universum auf leisen Sohlen zurückzog, um uns ganz unserer Verzweiflung zu überlassen.
    Mein Vater saß mit eingezogenem Kopf auf dem Kutschbock, den Blick starr zu Boden gerichtet, die Zügel in Händen, und ließ dem Maultier freien Lauf. Meine Mutter hatte sich in die Ecke verkrochen, dicht an die Sprossen gedrückt, ganz in ihre Schleier gehüllt, kaum noch erkennbar zwischen ihren Bündeln. Und meine kleine Schwester lutschte noch immer am Daumen, hatte noch immer ihren abwesenden Blick. Meine Eltern merkten gar nicht, dass ihre Tochter keine Nahrung mehr aufnahm, dass seit dieser Nacht, in der die Hölle unsere Felder heimgesucht hatte, in ihrem Geist etwas zu Bruch gegangen war.
    Unser Hund lief mit gesenktem Kopf in weitem Abstand hinter uns her. Ab und zu stoppte er auf einem Erdhügel, setzte sichauf die Hinterläufe, wie um zu sehen, ob er wohl durchhalten würde, bis wir am Horizont verschwunden waren, sprang dann wieder auf, preschte weiter die Piste entlang, versuchte uns einzuholen, die Schnauze dicht am Boden. Je näher er kam, umso matter wurde er, hockte sich wieder am Rand der Piste hin, unglücklich und ratlos. Er ahnte wohl, dass es da, wo wir hingingen, keinen Platz für ihn gab. Als wir den Hof verließen, hatte mein Vater ein paar Steine nach ihm geworfen, um es ihm klarzumachen.
    Ich hatte meinen Hund sehr lieb. Er war mein einziger Freund, mein einziger Vertrauter. Ich fragte mich, was aus uns beiden wohl werden würde, jetzt, da unsere Wege sich trennten.
    Wir hatten unendlich viele Meilen zurückgelegt, ohne eine Menschenseele zu treffen. Es war, als hätte das Schicksal die ganze Gegend entvölkert, um uns für sich allein zu haben. Nackt und trostlos zog sich die Piste vor uns hin. So orientierungslos wie wir selbst.
    Am späten Nachmittag, als wir von der Sonne schon völlig erschlagen waren, entdeckten wir endlich einen schwarzen Punkt am Horizont. Es war das Zelt eines Gemüsehändlers, eine Art Gerüst aus Pflöcken und Juteleinwand, mitten im Nirgendwo aus dem Boden gestampft, als wär’s eine Halluzination. Mein Vater hieß meine Mutter, im Schutz eines Felsens auf ihn zu warten. Bei uns haben die Frauen sich abseits zu halten, wenn die Männer sich treffen; es gibt keine größere Schande, als mit ansehen zu müssen, wie die eigene Frau von jemand anderem beäugt wird. Meine Mutter fügte sich und kauerte sich mit Zahra im Arm an den ihr zugewiesenen Platz.
    Der Händler war ein verschrumpeltes Männchen mit einem wieselflinken Blick aus tiefen Augenhöhlen in einem von schwärzlichen Pusteln übersäten Gesicht. Er trug eine arabische Kutte, die über den halbverschimmelten Latschen, aus denen unförmige Zehen ragten, schon ganz eingerissen war. Seine abgetragene Weste kaschierte nur notdürftig den eingefallenen Brustkorb.Misstrauisch beobachtete er uns unter seinem Schattendach hervor, umkrampfte mit der Hand einen Knotenstock. Als er merkte, dass wir keine Diebe waren, ließ er seinen Knüppel los und machte einen Schritt ins Licht, auf uns zu.
    »Die Leute sind so gemein, Issa!«, erklärte er ohne lange Vor rede, an meinen Vater gewandt. »Das liegt in der menschlichen Natur. Es bringt wenig, ihnen deshalb böse zu sein.«
    Mein Vater hielt seinen Karren in Höhe des Mannes an und stellte die Bremse fest. Er verstand durchaus, worauf der Händler da anspielte, doch er antwortete nicht.
    Der Händler klatschte mit empörter Miene in die Hände:
    »Als ich neulich nachts das Feuer von weitem sah, war mir gleich klar, dass da ein armer Teufel in seine Hölle zurückkehrte, nur dachte ich nicht im Geringsten daran, dass es dich getroffen haben könnte.«
    »Es war der Wille des Herrn«, erklärte mein Vater.
    »Das stimmt nicht, und das weißt du auch. Dort, wo Menschen

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