Die schwarzen Raender der Glut
Trauernde die steinernen Hände zum gleichgültig blauen Himmel hebt.
Berndorf geht zwischen zwei immergrünen Hecken hindurch. Dann bleibt er abrupt stehen, steif und aufrecht.
Auch Birgit hält inne. Ihr Blick fällt auf ein schmuckloses Grab. Immergrün, von einer Steinmauer eingefasst. Keine Blumen. Ein Gedenkstein, unbearbeitet. Die Inschrift ist halb von Moos zugewachsen. Sie braucht eine Weile, bis sie sie entziffern kann.
Brian O’Rourke
1939–1972
R.I.P.
Birgit dreht sich um, als ob sie Hilfe suche oder Schutz oder einen Fluchtweg. Ihr Blick fällt auf eine Frau, die auf einer Steinbank hinter ihr sitzt. Die Frau hat ein schmales, fast junges Gesicht unter einer wilden ungebändigten Mähne langer grauer Locken. Sie trägt ein langes, ärmelloses graues Kleid. Ihre Hände sind im Schoß gefaltet. Am linken Arm, fast am Handgelenk, trägt sie eine Silberkette, oder ist es ein silberner Armreif?
»Guten Tag, Birgit«, sagt Franziska Sinheim. »Wir haben uns lange nicht gesehen. Aber es ist gut, dass du einmal hier bist.«
»Guten Tag«, sagt Birgit widerstebend. Sie sieht zu Berndorf. »Es ist nur . . . Ich habe diese Begegnung nicht gesucht. Es ist mir auch nicht klar, was sie bezwecken könnte.«
»Das ist das Grab von Brian«, sagt Franziska. »Weißt du nicht mehr? Ihr habt ihn umgebracht. Du und dieser Mann da.«
»Entschuldige«, antwortet Birgit, »aber ich glaube, du bist krank. Das tut mir sehr Leid. Nur kann ich dir nicht helfen, ich bin solchen Situationen nicht gewachsen.«
»Das sind Sie durchaus«, schaltet sich Berndorf ein und nimmt ihren Oberarm und führt sie zu der Steinbank. »Setzen Sie sich. Sie wissen jetzt, dass Weglaufen nicht mehr hilft.«
Birgit nimmt am äußersten Ende der Bank Platz. Berndorf
sieht sich um, dann setzt er sich auf die Steinmauer von O’Rourkes Grab.
»Erzählen Sie ihr die Geschichte der silbernen Kette?«, wendet er sich an Franziska.
»Es ist keine Kette. Es ist das da«, antwortet Franziska und hebt kurz den linken Arm.
Die ineinander geschobenen Glieder des Armreifs lösen sich und fallen auseinander. Kein massives Silber, denkt Berndorf. Eine Legierung. Die kleinen blauroten Granatsteine sehen im Sonnenlicht fast verschämt aus.
»Es hat meiner Mutter gehört«, fährt Franziska fort, »sie hat es getragen, wenn sie zum Tanzen ging. Ich war traurig, als ich dachte, ich hätte es verloren.«
»Sagen Sie uns, wann das war.«
»Als ich mich von Schatte getrennt habe. Das war in Frankfurt... Ich war mit ihm verheiratet, eigentlich nur ein paar Monate, und dann bin ich Hals über Kopf von ihm weg. Als ich ein eigenes Zimmer hatte und meine Sachen holen wollte, war der Reif weg. Schatte sagte, er wisse nicht, wo er abgeblieben sei, und ich solle ihn mit meinem Kinderspielzeug in Ruhe lassen.«
»Sie haben nicht noch einmal nachgefragt?«
»Ich dachte, sei froh, dass du von ihm weg bist . . .«
»Wann haben Sie Schatte wieder getroffen?«
»Er rief mich in Mannheim an, als ich schon Redakteurin beim Aufbruch war, und weil er mich darum bat, habe ich ihn schließlich mit Volz bekannt gemacht. Schatte drängte sich dann in die Redaktion, so, wie er es immer macht, aber das kennen Sie wohl schon.«
»Sie arbeiteten in der Lokalredaktion. Wer verwahrte den Schlüssel für den Tresor, der dort stand?«
»Die Redaktionssekretärin. Sie hatte ihn in ihrem Schreibtisch, an der hinteren Seite einer Schublade festgeklemmt. Wenn ich ihn brauchte, holte ich ihn dort.«
»Wer sonst kannte das Versteck?«
»Außer mir nur Busse. Dass er sich einen zweiten Schlüssel
hat machen lassen, weiß ich allerdings erst seit unserem Gespräch in Bensheim.«
Birgit meldet sich. »Sind Sie ganz sicher, dass ich irgendetwas mit diesen Dingen zu tun habe? Sollte ich nicht besser gehen?«
»Ich bin ganz sicher, dass Sie nicht gehen sollten«, antwortet Berndorf und wendet sich wieder an Franziska. »Haben Sie mit Schatte über den Schlüssel gesprochen?«
»Im Juni 1972. Er kam zu mir und sagte, er hätte vertrauliches Material von Freunden aus Frankreich. Ob ich ihm den Schlüssel besorgen könne.«
»Was antworteten Sie?«
»Dass er die Zeitung nicht in sein konspiratives Gemauschel hineinziehen soll. Und dass ich meinen Armreif zurückhaben will.«
»Warum wollten Sie den gerade damals zurück?«
»Ich hatte Brian kennen gelernt. Ich wollte mit ihm tanzen gehen. Und dabei wollte ich den Armreif tragen. Wie meine Mutter.« Sie macht eine kurze Pause. »Und
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