Die pure Versuchung
1. KAPITEL
Dan Crenshaw bemerkte sie, kaum dass sie die verrauchte Bar betreten hatte. Er war nicht der Einzige. In ihrem provozierenden trägerlosen, mit tropischen Pflanzen bedruckten Kleid und ihren schwarzen Haaren, die bis über ihre Schultern herabreichten, fiel die Frau wie eine exotische Blume in einem Beet voller Unkraut auf.
Obwohl sie klein war, hatte sie nichts Kindliches an sich. Das Kleid umschmiegte so verführerisch ihre Kurven, dass sie die Blicke sämtlicher Männer auf sich zog.
Ihr Erscheinen in der kleinen Bar verhieß Ärger, und das war das Letzte, was Dan wollte.
Die Glanzzeiten der heruntergekommenen Bar lagen über vierzig Jahre zurück. Sie befand sich in einem alten Gebäude, das eine Aussicht auf die Bucht bot, und dessen verwitterte Fassade und Schild nicht viele Urlauber anlockten, die zum ersten Mal auf die Insel kamen. Dan war sich ziemlich sicher, dass die Frau nicht zu den Ortsansässigen gehörte.
Ein lokaler Radiosender spielte Oldies, deren Lautstärke selbst die lauteste Unterhaltung an der Bar fast übertönte. Für einen Wochentag herrschte ziemlich viel Betrieb. Auf den Barhockern am Ende der Theke saßen die Stammgäste und redeten über die Ereignisse des Tages. Nachdem alle die Frau begutachtet hatten, setzten sie ihre Gespräche fort.
Dans Stammplatz war seit seiner Ankunft auf South Padre Island der hinterste Tisch des Raumes. Er kam gern hierher, weil man ihn in Ruhe ließ. Genauso wollte er es.
Eines Morgens vor ein paar Wochen hatte er plötzlich seinen Glauben an sich selbst verloren und seine Ranch in Hill Country ebenso wie sein Computerunternehmen in Austin hinter sich gelassen. Er hatte sich auf den Weg nach Süden gemacht, und diese Insel war der südlichste Punkt, an den er gelangen konnte, ohne Texas oder die Vereinigten Staaten zu verlassen.
Jetzt saß vor seinem Drink und fragte sich, wieso eine Frau, die so aussah wie sie, einen solchen Ort besuchte. Er rechnete damit, dass sie jeden Moment ihren Irrtum erkannte und wieder ging. Stattdessen schaute sie sich in Ruhe um und schlenderte auf die Tische im hinteren Teil der Bar zu.
Die Theke war von bunter Neonreklame beleuchtet, wohingegen der übrige Raum im Dunkeln lag. Sturmlaternen mit kleinen Kerzen standen auf jedem der acht Tische und bildeten winzige Inseln des Lichts.
Sie setzte sich zwei Tische entfernt von ihm und legte ihre Handtasche neben sich auf den Stuhl. Dan konnte ihr Profil sehr gut erkennen – die hohe Stirn, die aristokratische Nase, die sinnlichen Lippen, das sanft gerundete Kinn und den langen schmalen Hals.
Laramie, der Barkeeper, stolperte in seinem Eifer, zu ihr zu gehen, über seine eigenen Füße. Und dann beugte er sich zu ihr, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.
Dan trank aus und winkte Laramie mit seinem Glas, damit er ihm einen neuen Drink brachte. Als er erneut aufsah, stellte er fest, dass die Frau ihn anblickte. In der verräucherten, schwach beleuchteten Bar schimmerten ihre Augen wie polierte Obsidiane, in deren schwarzen Tiefen sich das Kerzenlicht spiegelte. Dan hob sein leeres Glas und prostete ihr zu.
Sie musterte ihn einen Moment mit unbewegter Miene, ehe sie wieder zur Bar sah, hinter der Laramie gerade mit Gläsern in beiden Händen hervoreilte.
Dan nahm seinen Scotch und nippte vorsichtig daran. Es erstaunte ihn nicht im Geringsten, dass sich die junge Frau brüsk von ihm abwandte. Wahrscheinlich sah er aus wie ein Pirat, der vor Kurzem an den Strand gespült worden war.
Nachdenklich rieb er sich das Kinn, ohne sich erinnern zu können, wann er sich das letzte Mal rasiert oder seine zerzausten dunklen Haare gekämmt hatte. Keiner seiner Angestellten würde ihn jetzt erkennen. Wahrscheinlich würde ihn so nicht einmal seine eigene Schwester erkennen.
Mandy. Verdammt. Sie hatte ihm heute Abend am Telefon reichlich zugesetzt, weil er sich weigerte, nach Hause zu kommen.
Sie verstand einfach nicht, wie verführerisch das Leben auf der Insel sein konnte. Er schlief, wann er wollte, aß, wann er wollte, trank, wann er wollte. Es war das erste Mal seit Jahren, dass er in dem Apartment wohnte, das er vor einigen Jahren billig gekauft hatte, als der mexikanische Markt einen Kurssturz erlebte und die Wirtschaft entlang der Grenze zwischen Südtexas und Mexiko litt.
Sein Apartment befand sich im höchsten Gebäude auf der Insel und bot einen eindrucksvollen Blick auf den Golf von Mexiko und die Bucht, die die Insel von Port Isabel trennte.
Nein, er hatte
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