Die schweigenden Kanäle
waren zweimal 'ier, aber Sie 'aben so fest geschlafen wie … wie … wie 'amster –« Sie lachte und goß Parfüm in den warmen Wasserstrahl. In der Wanne schäumte es auf, und ein süßer Duft durchzog das Zimmer.
Eine Stunde später führte Pietro Barnese, um den Kopf einen malerischen Turban aus viel Mull und über dem Auge eine lichtblaue Klappe, Ilse Wagner zu einem kleinen Saal.
»Ein großer Tag, Signorina«, sagte er begeistert. »Und dann in meinem ›Excelsior‹. Die Geburt eines neuen Jahrhunderts …«
Ilse Wagner vermied es, Barnese an die Schimpfkanonaden zu erinnern, die er noch vor zwölf Stunden ausgestoßen hatte. Pietro wartete darauf – er hatte schon eine flammende Verteidigungsrede zurechtgelegt. Daß Ilse Wagner schwieg, empfand er als wohltuend. »Wie eine Madonna sehen Sie aus«, sagte er deshalb glühend. Er sagte es jeden Tag mehr als zehnmal, aber es klang immer wieder wie neu und vor allem glaubhaft und persönlich.
Leise öffnete er die Tür zum kleinen Saal. Dabei legte er die Finger auf die Lippen.
Um einen großen runden Tisch hatten einige würdige Herren Platz genommen. Direkt der Tür gegenüber saß ein kleiner, weißhaariger, lebendig mit den Händen redender Mann. Er hatte ein vor Aufregung glühendes Gesicht und sprach ohne Rücksicht in die Worte der anderen hinein.
Es war seine Art, Glück zu zeigen. Und Prof. Panterosi war glücklich. Auch Dr. Berwaldt und Rudolf Cramer saßen an dem runden Tisch, vor sich einige Schriftstücke.
»Wann können Sie die ersten Spritzen liefern?« fragte Prof. Panterosi mit seiner hellen Stimme.
»In fünf Tagen –«, sagte Dr. Berwaldt.
»Wunderbar!«
»Aber ich werde sie nicht liefern!«
Prof. Panterosi starrte Dr. Berwaldt an, als blicke er auf ein entsetzliches Bild. Ein paarmal bewegte er den Kopf hin und her und stieß die Fingerspitzen heftig gegeneinander.
»Was … was werden Sie nicht, Dottore?«
»Das Mittel liefern.« Dr. Berwaldt sprach mit ruhiger, klarer Stimme. Es sah dabei kurz zu Cramer hinüber, der mit ernster Miene auf die Tischplatte blickte. »Ich habe es nicht mehr.«
Prof. Panterosi sprang auf. Als würde er vom Sitz geschleudert, so heftig fuhr er auf. Der Stuhl polterte zu Boden. »Was soll das heißen?« schrie er hell.
»Die Formeln lagen in einer Mappe, die im Tresor des Hotels verschlossen war. Ich habe sie mir geben lassen, und in Gegenwart von Herrn Cramer habe ich die Formeln zerrissen und die Papierschnitzel in den Canale Grande gestreut –«
»Ein Irrer!« schrie Panterosi und fuhr sich mit beiden Händen in das weiße Haar. »Man muß ihn festnehmen! Man muß ihn verurteilen! Ein Irrer, der eine Rettung der Menschheit wegwirft –«
»Sie sehen es von Ihrer Warte, Herr Professor.« Dr. Berwaldt schob einige Fotos über den Tisch, einige Berichte und Tabellen. »Hier haben Sie die andere Seite des ›Wundermittels‹, und wenn Sie das gelesen haben, werden Sie vor Entsetzen stumm sein. Zugegeben … in einer ungeheuer schwachen Dosierung heilt es gewisse Arten von Carcinomen … Wie ich höre, haben Sie das auf eigene Faust bewiesen …«
Prof. Panterosi senkte den Kopf. Er würgte an den Worten, aber er war ehrlich genug, es doch auszusprechen.
»Die Patientin ist gestorben …« sagte er heiser.
»Ach!« Dr. Berwaldt fuhr auf. »An meinen Injektionen? Das heißt, an den von Ihnen vorgenommenen –«
Panterosi schüttelte den Kopf. »Nein – und ja. Ich wollte etwas erzwingen … ich habe die letzte Injektion um 100 mg höher dosiert …«
»Und plötzlich war sie tot –«
»Ja. Wir haben sofort eine pathologische Untersuchung gemacht. Ich glaubte, daß Ihr Mittel doch nur ein Bluff sei. Aber nein … es zeigte sich, daß die Krebszellen tatsächlich sich in einer Art Auflösung befanden, daß das Riesenzellenwachstum gehemmt war, daß also der Krebs zum Stillstand gekommen war! Aber das Herz war plötzlich still – ohne erkennbaren Grund!«
»Die Patientin wurde vergiftet.«
»Vergiftet?« Panterosi sprach das Wort wie einen Hauch aus. Sein schmales Gelehrtengesicht wurde fahl.
»Bitte, lesen Sie diese Berichte, Herr Professor. Sehen Sie diese Fotos an! Sie werden Ihnen erklären, warum in den vergangenen Tagen dies alles geschehen ist und warum ich meine Entdeckung zurück warf in das Dunkel, aus dem sie plötzlich zu mir gekommen war. Wir hätten keine Rettung der Menschheit erwarten können, sondern eine totale Vernichtung. Wir standen nicht an der Schwelle des ewigen
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