1257 - Gezeichnet durch den Höllenfluch
Es begann wieder nach dem abendlichen Essen, als sich Francis Gallo den ersten Whisky gönnen wollte. Er hatte die aromatische Flüssigkeit kaum eingeschenkt und die Flasche zur Seite gestellt, als seine rechte Hand zu zittern begann.
Gallo griff nicht zum Glas!
Er blieb in seinem Sessel sitzen, schloss die Augen und spürte die Enge seines Hemdkragens. Vom Magen her stieg das Gefühl der Angst wieder in ihm hoch, und der anglikanische Pfarrer wünschte sich weit, weit weg.
Er kannte die Symptome. Sie waren grauenhaft und bestanden noch aus der Vorahnung. Aber die Wahrheit würde sich weiter hervorkristallisieren, sie würde ihn treffen wie ein brutaler Schwerthieb, und sie würde ihn wieder hinab in das psychische Elend stürzen.
Es war grausam. Eine Folter. Die Strafe Gottes. Es war noch nicht der erreichte Höhepunkt, aber der würde folgen, da war er sich völlig sicher.
Der Mörder war wieder unterwegs. Das Böse irrte durch die Nacht auf der Suche nach dem Opfer.
Der Tod hatte sich angemeldet. Irgendwo würde er zuschlagen.
Francis Gallo wusste nicht, wo das geschehen würde, doch es passierte. Das war bisher immer so gewesen, und er musste mit diesem mörderischen Seelendruck und seinem Wissen leben.
In einem Jahr würde er die Vierzig erreichen. Schon jetzt sah der Pfarrer viel älter aus. Sein Haar hatte längst die einst dunkle Farbe verloren und war schlohweiß geworden. Das Wissen um den Schrecken und die Träume hatten ihn schnell altern lassen.
Er ging seinem Beruf nach, aber er tat es mit immer weniger Freude. Auch eine Frau fehlte an seiner Seite. Er konnte es einfach keiner Person zumuten, mit ihm zu leben.
Gallo stand nicht auf. Er war froh darüber, dass das Zittern nachgelassen hatte. So blieb er starr im Sessel hocken und schloss die Augen. Er wollte nichts mehr sehen, aber er wollte seinen Willen anstrengen, um gegen die noch relativ harmlose Unruhe anzukämpfen.
Es gelang ihm auch. Wie viel Zeit dabei vergangen war, konnte er nicht sagen, doch als er auf den Tisch blickte, standen noch immer das Glas und die Flasche darauf.
Erst jetzt war er in der Lage, über den ersten Ansturm nachzudenken. Es war nicht nur das Zittern gewesen. Er hatte auch ein Bild gesehen, das es in seiner sichtbaren Nähe nicht gab. Es war ihm zugesandt worden, aber er hatte es als schrecklich angesehen. Ein Killer in der Verkleidung des Todes.
Mit einer schrecklichen Maske vor dem Gesicht. Sie bestand aus einem hellen, weichen Material, und sie symbolisierte einfach nur den Tod. Ein aufgerissenes Maul in der Mitte, mehr hoch als breit und dazu verzerrt.
Ein Stück Albtraum. Ein Sinnbild, ein Vergleich, mehr war dazu nicht zu sagen. Aber es entsprach auch der Realität. Er wusste genau, dass er sich diese Gestalt nicht eingebildet hatte. Es gab sie, aber er hatte sie nicht erschaffen.
Der Killer war unterwegs. Und er hatte ihn gespürt. Damit fertig zu werden, fiel ihm nicht leicht. Gallo wusste nicht, weshalb die Ahnungen und auch das spätere Wissen gerade ihn trafen, es war nun mal so. Und nicht zum ersten Mal musste er sich damit beschäftigen, denn er hatte die schrecklichen Dinge gesehen, erahnt, und sie waren tatsächlich eingetroffen. Das nagte an ihm, das machte ihn fertig, das drückte auf sein Gemüt und hatte ihn früh altern lassen.
Als Pfarrer war es seine Pflicht, den Menschen das Reich Gottes näher zu bringen. Darum hatte er sich immer bemüht, aber in der letzten Zeit war es anders gewesen. Da war ihm die Hölle immer näher gekommen. Genau davor fürchtete er sich am meisten. Das äußere Erscheinungsbild mit den schlohweißen Haaren ließ ihn kalt. Wichtig war, was innerlich mit ihm passierte. Da fürchtete er sich, dass es zu einer großen Leere kommen würde, die mit dem Verlust des Glaubens einherging.
Der plötzliche Ansturm war vorbei. Er kehrte auch nicht mehr zurück. Der Pfarrer konnte sich wieder mit der Normalität auseinander setzen, und die bestand im Moment darin, dass vor ihm ein gut eingeschenkter Whisky stand und darauf wartete, getrunken zu werden.
Er war kein Trinker, erst recht kein Säufer. Aber es gab Abende, da musste er einfach zum Alkohol greifen. Sowie jetzt wieder, als ihn dieses verdammte Bild so mitgenommen hatte. Es war einfach schrecklich gewesen. Ein Killer, der sich die bleiche Maske des Todes über den Kopf gestreift hatte.
Ein Novum, denn wenn ihn die Ahnungen in der Vergangenheit überkommen hatten, dann hatten die Killer immer anders ausgesehen.
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