Die Schwestern
Schwips haben würde, zum anderen,
dass das Foto an der Wand alles nur noch viel schlimmer machte. Oder das Gegenteil bewirkte, je nachdem, wie man die Lage
betrachtete. Wein und Sex waren nach Deanas Erfahrung untrennbar miteinander verbunden, und nun wünschte sie, mit Jimmy nicht
so überstürzt Schluss gemacht zu haben. Sie starrte sehnsüchtig auf die Fotografie. Sie brauchte so dringend, was
denen
dort oben vergönnt war, und obwohl Jimmy phantasielos war, so war mit ihm wenigstens schlichter, harter Sex mit Orgasmusgarantie
zu haben.
Deana bediente sich der kreativen Fähigkeit des «Visualisierens» und versetzte sich an die Stelle der Frau auf dem Foto. Sie
sah eine schlanke Gestalt mit wohlgeformtenRundungen, dunklem Haar und Augen und einem apricotfarbenen Teint. Ein sinnliches Mädchen mit einer guten Figur, einem hübschen,
herzförmigen Gesicht und großen, glänzenden Augen, deren Mund zwar klein war, doch mit natürlichen roten Lippen, die, zu einem
Schmollen aufgeworfen, darum bettelten, geküsst zu werden.
Deana lachte über ihre Eitelkeit und zog ihr dünnes, schwarzes Kleid über den sanft geschwungenen Hüften glatt.
Es saß zu neunundneunzig Prozent perfekt, lediglich über ihren Brüsten spannte der schwarze Baumwollstoff ein wenig. Dass
dem so sein würde, hatte sie sofort bemerkt, als sie das Kleid auf dem Flohmarkt entdeckte, aber es hatte ihr so gut gefallen,
dass sie es auf der Stelle anprobieren musste. Der Standbesitzer hatte durch die Vorhänge seiner provisorischen Umkleidekabine
gespäht. Er musste geahnt haben, dass sie das Kleid des Schnitts wegen ohne einen BH tragen musste und ihm daher ein freier
Einblick gewährt würde. Doch Deana hatte sich nicht daran gestört, ihm ihren bloßen Busen zu zeigen. Es gefiel ihr, denn sie
hatte oft Freude daran, betrachtet zu werden. Insbesondere von einem so gutaussehenden Burschen wie dem Marktverkäufer.
Doch konnte sie sich nicht vorstellen, dass es Delia ähnlich erging. Oder dass ihr das Kleid gefallen würde. Ein Secondhanddress
aus indischer Baumwolle mit gerüschtem Saum und Spiegelplättchen entsprach sicher nicht dem Geschmack ihrer Schwester, und
plötzlich fragte sich Deana besorgt, ob sie sich nicht hätte mehr darum bemühen sollen, wie die Frau auszusehen, die sie heute
Abend spielte.
Vom Gesicht her war dies eine leichte Aufgabe. Sie und Delia waren eineiige Zwillinge, und ihre Ähnlichkeit war so verblüffend,
dass es sogar ihren Eltern gelegentlich schwergefallen war, sie auseinanderzuhalten. Mittlerweile hatten sie sich jedoch so
unterschiedliche Stylingszugelegt, dass es zunehmend einfacher wurde, die Ferraro-Schwestern voneinander zu unterscheiden. Bei einem Anlass wie diesem
hätte Delia vermutlich etwas Subtileres, Neutraleres getragen, ganz im Stil von Jean Muir. Delia hätte ihr glänzendes Haar
außerdem viele Male gebürstet, und es würde ihr in seiner nussbraunen Pracht nicht so unordentlich über die Schultern fallen
wie das von Deana. Und ihre vernünftige Schwester würde Perrier mit einer Scheibe Zitrone trinken, für den Fall, dass ihr
Chef auftauchte – und sicherlich nicht ein Glas Frascati nach dem anderen in sich hineinschütten, als wäre es völlig außer
Mode gekommen, nüchtern zu sein.
Die kopulierenden Körper auf dem Foto wurden Deana plötzlich doch zu viel, und sie beschloss weiterzuschlendern. Vielleicht
gab es irgendwo in diesen Räumlichkeiten noch etwas Unverfänglicheres zu betrachten, das ihr nicht so sehr das Gefühl gab,
es nötig zu haben.
Doch während sie den Katalog durchblätterte, spürte sie mit einem Mal etwas Seltsames. Die feinen Härchen in ihrem Nacken
stellten sich auf, und sie sah einen dunklen Schatten von links in ihr Blickfeld gleiten. Sie keuchte auf, als eine Art von
Präsenz nach ihr zu greifen schien und sie zu streicheln begann. Die langsamen Berührungen wirkten vertraut, waren wie geisterhafte,
männliche Fingerspitzen, die über das feuchte Fleisch ihres Geschlechts glitten.
So unauffällig wie möglich wandte sie sich nach links.
Ein Mann stand vor dem nächsten Ausstellungsstück und betrachtete es eingehend. Ein Mann, so dunkel und erotisch, dass er
selbst eines der Exponate hätte sein können. Deana zwang sich, ihn nicht länger anzustarren, und senkte den Blick wieder auf
den Katalog, während ihr inneres Auge zu visualisieren begann … und sich
ihn
statt sich selbst in dem Kunstwerk
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