Die Seele des Ozeans (German Edition)
Männer fragen.
Sie würgte an ihren Tränen, presste die Kleidung an sich und rannte davon.
~ Kjell ~
Verflucht, was war nur in ihn gefahren?
Warum hatte er Fae stehengelassen? Warum hatte er plötzlich einen Hunger empfunden, der ihn schier zerrissen hatte vor Verlangen? Warum war er ohne nachzudenken ins Wasser gesprungen, nur weil ihn eine Laune gepackt hatte, die von ihm verlangte, durch das kalte, wilde Wasser zu schwimmen – und aus Angst vor sich selbst?
Jetzt war Fae verschwunden.
Hätte er nur diesen verfluchten Tee nicht getrunken. Oft genug hatte er gesehen, was Alkohol anrichtete, aber es hatte ihn nicht davor bewahrt, genauso wie sein Vater zu einem Schwächling zu werden.
In diesen furchterregenden Augenblicken am Hafen hatte er nur eins empfunden: Gier. Eine hässliche, zehrende und zugleich berauschende Gier nach Faes Seele. Was bedeutete das? Wäre er etwa in der Lage gewesen, ihr wehzutun?
Ich bin ein Dummkopf! Genauso wie Angus. Warum habe ich dieses Zeug getrunken? Warum habe ich nicht aufgehört, als es zu brennen begann?
Wieder und wieder schickte er Klicklaute in die Finsternis hinaus, aber zurück kam nur verwirrendes Chaos. Alles floss und veränderte sich, war mal nah und mal fern, überlagerte sich oder verschwand, ehe er es einordnen konnte. Alles war so bunt. So verwirrend. Wie die Farben, Düfte und Geräusche in dem Café.
Und tief in seinem Inneren tobte noch immer das Ungeheuer. Dieses gierige, verstandslose Ding, das Fae um ein Haar etwas angetan hätte.
Es muss der Rum sein. Nicht ich.
Nur das Zeug, das alles verzerrt und verfälscht.
Doch sein Instinkt wusste es besser. Das, was er in sich fühlte, gehörte zu ihm. Es hatte geschlafen, in der Tiefe seines Geistes, und jetzt war es aufgewacht. In seinem Kopf pochte eine Hitze, die nicht einmal das eisige Wasser vertreiben konnte. Sie war schwächer geworden und tauchte seinen Verstand nicht mehr in ein brodelndes Fieber, hüllte seinen Kopf aber immer noch in Nebel. Verwirrt bewegte er sich durch die Dunkelheit, versuchte eine vertraute Strömung zu finden oder sich am Geschmack des Wassers zu orientieren. Aber alles, was er wahrnahm, war diese Hitze und das Brennen von Rum und Gewürztee in seinen Eingeweiden. Er schaffte es nicht einmal, ein paar Delfine herbeizurufen, die ihn schnell an sein Ziel gebracht hätten. Was aus ihm herauskam, war nur verwaschenes Zeug. Falls ihn ein Tier hörte, würde es vermutlich überhaupt nichts verstehen.
Was, wenn ich es wieder fühle?
Was, wenn ich es das nächste Mal nicht beherrschen kann?
Die Erinnerung an Faes Berührungen, an ihre heilsame Nähe und ihr glückliches Lächeln war so viel stärker als die Stimme seiner Vernunft. Nicht bei ihr zu sein schmerzte körperlich. Es schmerzte schlimmer als die Angst vor dem, was sich in ihm regte – und erschreckend an jenes Gefühl monströser Gier erinnerte, das ihn an jenem Abend durchzuckt hatte, als er Fae am Strand beobachtet hatte.
Ins Wasser mischte sich der Gestank von Dreck und Chemie, der durch seine Haut drang und ein Gefühl von Übelkeit hervorrief. Ohne es wahrgenommen zu haben, war er wieder in Richtung Küste geschwommen. Kjell tauchte auf und blickte irritiert auf den hell erleuchteten Hafen der Stadt. War er nicht auf das offene Meer hinausgeschwommen, weg vom Land? Ihm war schwindelig, die Lichtpunkte verwandelten sich in wild gezackte Sterne.
Er wollte weiterschwimmen, doch in diesem Augenblick drang ein Gefühl von Traurigkeit durch den wirren Nebel seiner Gedanken. Jemand saß am Strand und weinte. Er spürte den Geschmack von Wut, das bittere Aroma enttäuschter Liebe und – was von allem am verlockensten war – jene Form von unbeugsamer Stärke, die nur die wenigsten Menschen besaßen.
In Fae loderte diese Stärke wie ein Feuer.
Ein Knurren grollte in seiner Kehle. Der Hunger, der sich in ihm ausbreitete, war anders als die fremdartige Gier, aber immer noch beängstigend.
Beängstigend aufregend.
Beängstigend scharf und herrlich.
Ehe er wusste, was er tat, war er abgetaucht und bewegte sich auf die in der Nacht flackernde Traurigkeit zu. Er wurde vorwärts getrieben von einem Instinkt, gegen den er nichts ausrichten konnte – und nichts ausrichten wollte. Ebenso wenig wie ein Hai dem Geruch von Blut widerstehen konnte.
Etwas tief in ihm, das älter war als alles, was er jemals gefühlt hatte, trieb ihn auf den trauernden Menschen zu. Es war ein unwiderstehliches Gefühl. Hungrig, dunkel und
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