Die Seele des Ozeans (German Edition)
Rest Hoffnung aus.
Der Körper seines Sohnes wurde vom Licht verschluckt. Es nahm ihn mit sich in die Tiefe des Ozeans, und er war zu schwach, um etwas dagegen zu tun. Als das Leuchten in der Dunkelheit des Wassers verschwand und nichts zurückließ als die Gleichgültigkeit des Meeres, kämpfte sich Angus noch einmal auf die Füße.
Die Nacht wich dem Morgen, als er hinauf zu den Klippen taumelte, und als er am bröckelnden Rand des Abgrunds stand, tasteten sich Sonnenstrahlen durch die zerbrochene Wolkenschicht.
Angus fühlte nichts mehr. Er war leicht wie ein Vogel, als er sich nach vorne kippen ließ.
Nur ein einziger Wunsch brannte noch in ihm.
Fiona. Er wollte sie wiedersehen.
Angus fiel und fiel. Das Wasser raste auf ihn zu.
Endlich war es vorbei.
~ Gegenwart, August 2052 ~
Kjell knickte ein Eselsohr in die Seite, klappte das Buch zu und legte es neben sich auf das Bett. Er war hellwach, obwohl ihn das Lesen sonst ermüdete. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, malte Bilder, erschuf Emotionen und gab ihn nur widerwillig aus dem Sog der Geschichte frei.
Die Nacht hatte sich in jene weltfremde Atmosphäre gehüllt, die er nur hier fand. Zusammengesetzt aus dem alten Haus, dem Rauschen des nahen Meeres und der Stille, in der jedes Knarzen und Rascheln, jede Welle und jeder Herzschlag widerhallte. Angus’ Schmerz verursachte ihm Übelkeit. Er mochte solche Dramen nicht, seine empathische Gabe ließ ihn viel zu tief mittendrin stecken.
„Wie wäre es, wenn wir mit etwas Aufmunterndem weitermachen? Schaffst du das, Mum? Ich wäre dir wirklich dankbar.“
Sein Communicator auf dem Nachttisch begann zu brummen. Zuerst wollte er es ignorieren, aber dann rief er sich in Erinnerung, dass es Nacht war. Genau 2:35 Uhr.
Wer immer ihn um diese unchristliche Zeit anrief, es musste dringend sein.
Die Tatsache, dass der Anrufer sein Glück penetrant weiter versuchte, bestätigte Kjells Verdacht. Er griff neben sich auf den Nachttisch, schnappte sich das brummende Ding und nahm den Anruf an. Flackernd erschien das sonnengebräunte Gesicht seines Managers auf dem Display. Wo immer der Kerl steckte, es herrschte dort heller Tag.
„Was gibt’s?“, nuschelte Kjell und gähnte.
„Hi, mein Goldesel. Alles senkrecht?“
Typisch Daniel. Energiegeladen wie immer.
Wenigstens schien kein Weltuntergang anzustehen, denn Daniels Stimme klang unbeschwert und sein Grinsen war fröhlich. Im Hintergrund sah Kjell Palmen, die sich im Wind wiegten. Darunter ein Wirrwarr aus bunten Decken mit Menschen darauf.
„Spinnst du? Es ist mitten in der Nacht.“
„Oh … ähm …“ In der Pause, die folgte, konnte Kjell regelrecht hören, wie es in Daniels Gehirn ratterte und klickte. „Wie spät hast du es?“
„Zwei Uhr und sechsundreißig Minuten.“
„Mist. Tut mir leid. Scheiß Zeitverschiebung. Habe nicht daran gedacht.“
„Wo steckst du?“
„Seit gestern in Sydney. Genau dort, wo du erst nächste Woche erwartet wirst. Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass wir Tag haben und ihr Nacht. Wie bescheuert ist das eigentlich?“
Kjell stutzte. „Nächste Woche? Wieso nächste Woche?“
„Die Universität wurde unter Wasser gesetzt. Es kann keinem zugemutet werden, zwischen angeschwemmtem Müll zu hocken. Außerdem wimmelt es hier vor Schlangen. Schlangen, Kjell! Lang wie Gartenschläuche und dick wie meine Waden. Wir hatten fünf Tage lang Dauerregen. Alles ist eine einzige Drecksbrühe. Vorhin haben sie drei Krokodile aus der Mensa gezogen.“
„Aha.“
Kjell beglückwünschte sich zu diesem wundervollen Wink des Schicksals. Auf dem Display winkte Daniel irgendwem zu, während der Wind sein blondes Haar zerzauste.
„Dann hast du sicher nichts dagegen, wenn ich erst am Sonntag anreise? Du hast das Ticket doch mit Rücktrittsversicherung gebucht, oder?“
„Klar, wie immer. Ich lasse dir ein Neues am Flughafen hinterlegen. Dein nächster Vortrag wäre am 2. September.“
„Wunderbar.“ Das waren vier Tage mehr Zeit. „Dann sehen wir uns am 1. September. Du holst mich ab?“
„Wie immer, mein Goldesel. Erhol dich gut. Und denk dran, ab nächste Woche hast du sechs Monate Dauerprogramm. Sämtliche Vorträge sind ausgebucht.“
„Was?“
„Tu nicht so bescheiden. Du hast nun mal Talent, damit musst du klarkommen. Dieses gewisse Etwas im All-Inclusive-Paket. Ach ja, und besorge dir endlich einen neuen Communicator. Das Ding hat schon gute zwei Jahre auf dem Buckel.“
„Halt die Klappe. Ich bin
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