Die Seele des Ozeans (German Edition)
gesund, weder für ihn noch für sie, doch welche Qualität besaßen die letzten Tage, wenn man sie mit Enthaltsamkeit verbrachte? Rembrandt durfte fressen, was er wollte und wie viel er wollte. Sie erlaubte ihm dieselben Freiheiten, die sie auch sich selbst erlaubte.
Scheiß drauf, war ihr Motto, und der Kater pflichtete ihr wortlos bei, indem er zufrieden über seine verschmierte Schnauze leckte.
Sie lehnte den Kopf gegen den Küchenschrank und überlegte, was zu tun war. Alexander und seine Freunde hatten rein gar nichts gefunden. Die Polizei war gekommen und suchte vielleicht noch immer den Strand ab. Bisher erfolglos, denn das Telefon schwieg beharrlich. Möglicherweise gab es auch gar keine ernstzunehmende Suche.
Wie waren die lustlosen Worte des Beamten gewesen?
Wir schauen uns mal um.
Fae sprang von der Anrichte, holte einen zweiten Riegel aus dem Schrank und wärmte ihn in der Mikrowelle auf. Zunehmen würde sie sowieso nicht mehr, und falls doch, spielte es keine Rolle. Im schlimmsten Fall musste Alexander den Sarg eine Nummer größer bestellen.
Geistesabwesend zog sie sich auf die Anrichte und ließ die Schokolade in ihren Mund fließen. Es gab Momente, in denen sich der permanent vorhandene Schmerz in ihrem Schädel mit stoischer Grausamkeit in den Vordergrund drängte.
„Ich bin noch hier“, schien er ihr sagen zu wollen. „Immerzu. Du kannst mich nicht aufhalten. Ich fresse dich. Langsam und genüsslich“.
Wenn dem Mann etwas geschehen war, war alles ihre Schuld. Sein seltsames Aussehen mochte nur Einbildung gewesen sein, aber das Blut war es nicht. Zu dumm, dass sie es in geistiger Umnachtung abgewaschen hatte, bevor die Polizei gekommen war.
Es war ihr einziger Beweis gewesen.
Sie rutschte von der Anrichte, warf beide Schokoriegelverpackungen in den Mülleimer und wollte zur Garderobe huschen, um sich draußen umzusehen, als sie einen Schatten vor der verglasten Haustür bemerkte.
Er hatte ungefähr Alexanders Größe und Statur, aber es war nicht ihr Bruder. Ukulele konnte es schon gar nicht sein, und Henry war dünner und kleiner.
Fae klappte der Kiefer nach unten, als ihr eine unglaubliche Erkenntnis kam. Nein! Unmöglich. Es konnte nicht der Fremde vom Meer sein. Der war entweder tot oder über alle Berge. Niemals stand er einfach so vor ihrer Haustür.
Träum weiter, Fae!
Warum zum Teufel klingelte der Kerl nicht? Wollte er unbemerkt bleiben? War er gar ein Einbrecher? Unsinn, Einbrecher standen nicht tatenlos vor der Haustür herum, sondern sahen zu, dass sie sich Zutritt verschafften. Es sei denn, er lauschte, um sich von der Abwesenheit der Hausherren zu überzeugen. Ziemlich dumm, das vor einer Glastür zu tun. Abrupt riss sie die Haustür auf. Selbst wenn es ein Einbrecher war, was hatte sie zu verlieren? Eine Kugel würde die ganze Misere nur beschleunigen. Aber es war kein Einbrecher. Oh nein. Nichts und niemand hätte Fae auf diesen Anblick vorbereiten können.
„Du?“ Ihr klappte der Mund auf. Großer Gott, er war es. Der Mann, der sie aus der Strömung gefischt hatte. Der Mann, dem sie ihr Leben verdankte, auch wenn es inzwischen kaum mehr etwas wert war. Er war keine Halluzination. Er war echt und zum Greifen nahe. Seltsamerweise machte ihn das kein Stück wirklicher.
„Ich dachte, du …“
Ihre Stimme versagte. Fassungslos starrte sie ihn an. Seine Augen waren von klarstem Türkis, hell und funkelnd wie Kristalle. Nasses, bis auf die Schultern fallendes Haar tropfte die Dielen voll. Es war tatsächlich silbern und schimmerte, als bestünde es aus zarten Perlmuttfäden. Seine Lippen hoben sich zu einem hauchfeinen Lächeln, dessen Sinnlichkeit eine fiebrige Hitze und etwas unterschwellig Bedrohliches ausstrahlte. Die Haut dieses Mannes war so blass, dass sie einen bläulichen Schimmer besaß. Wie Vollmondlicht im Winter. Er trug eines von Henrys weißen Hemden, die Fae an dem abgeschnittenen Kragen erkannte, die Hose wiederum stammte von Alexander. Brauner Cord, zahllose Taschen, nicht mehr zu entfernende Ölflecken, die daher stammten, dass er die ihm zugeteilten Schiffe und Boote ausschließlich selbst reparierte.
Mein Gott! Und was jetzt?
„Irre ich mich“, hörte sie sich fragen, „oder hingen diese Kleider gerade noch hinter dem Haus auf der Leine?“
Der Mann kniff die Augen zusammen und starrte sie an.
Surreal, unwirklich und fremdartig.
„Verstehst du mich?“
Er kniff die Augen noch enger zusammen und legte den Kopf schief. Inmitten seines
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