Die Seele des Ozeans (German Edition)
ließ.
Verdammt, verdammt, verdammt.
„Verstehst du mich überhaupt?“, versuchte sie ihr Glück erneut. „Dann sag irgendwas. Mach irgendwas.“
Sie legte die Utensilien auf den Tisch, lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen zurück und sah ihn an. Der Fremde starrte verwirrt zurück, als könne er sich nicht erklären, wie er hierher gelangt war. Silberne Flecken zogen sich durch das Türkis einer ungewöhnlich großen Iris, die fast den gesamten Augapfel einnahm und nur wenig Weiß übrig ließ. Eindeutig eine Ausgeburt ihres Tumors.
Sie ertrug seinen Blick keine zwei Atemzüge lang. Ihr war, als sei sie ein schwerer Stein, der in einem kristallklaren Ozean versank, träge und schläfrig. Ihr war, als sänke sie hinab, immer weiter, bis blaue Irrlichter sie umtanzten und sie glaubte, aus weiter Ferne überirdischen Gesang zu vernehmen. Keine Worte, sondern vertonte Unendlichkeit.
Tränen rollten über ihre Wangen. Sie spürte ihr feuchtes Kitzeln, dann einen tobenden Schmerz in ihrem Bauch.
Wut. So viel Wut.
Fae zuckte mit einem unkontrollierbaren Schluchzen zurück. Die Hände des Mannes griffen nach ihr, hielten ihr Gesicht umklammert und zwangen sie, seinem Blick zu begegnen. Ihr blieb der Atem im Halse stecken. Sie tat einen verzweifelten Japser, öffnete den Mund zu einem Schrei … und gab mit einem Seufzen auf. Sie sank, sank so wunderbar tief. Wurde müde, so wunderbar müde.
Alle Wut verrauchte. Alle Angst verschwand.
Lass mich nicht los …
Die Lippen des Fremden kamen ganz nah an ihre, während er dieselben leisen Töne von sich gab, die sie letzte Nacht in der Bucht gehört hatte. Sein Atem roch wie das Meer, wie der salzige Nebel über den Wellen. Es wurde dunkel. Sie schwebte in der warmen Finsternis, glücklich und selig, und um sie herum erklang diese unbeschreiblich schöne Stimme. Es war, als sei die Dunkelheit ein grenzenloser Ozean, und als erfülle diese Stimme ihn mit Hoffnung und Glück.
Abrupt öffnete Fae die Augen.
Es gab keinen Übergang. Kein Gefühl des Erwachens. Sie schwebte und stürzte ab. Prallte gegen das Sofa, fiel in die Polster und fand sich im Wohnzimmer wieder.
Der Mann war noch immer da.
Er stand vor dem Gemälde, das Ukulele gemalt hatte, fuhr jeden einzelnen Pinselstrich mit dem Zeigefinger nach und beugte sich vor, bis seine Nase fast die exotischen Blüten berührte. Sonnenlicht fiel durch die Fenster und überzog seine Mondsilberhaut mit einem Hauch von Gold. Noch immer trug er nichts als die Hose. Die Wunden, die sie gesäubert hatte, waren nur noch oberflächliche Kratzer.
Fae rieb sich stöhnend den Kopf. Ein Blick zur Uhr ließ sie verblüfft aufkeuchen. Es war fast drei Uhr am Nachmittag. Sie musste mehrere Stunden geschlafen haben. Nein, nicht geschlafen. Er hatte sie berührt, sie angeblickt und dann …
Allmächtiger!
„Besser, du gehst.“ Fae presste beide Hände um ihren Kopf zusammen. Der Tumor schmerzte nicht, aber ihr Körper fühlte sich seltsam taub an. Kein gutes Zeichen. „Tu mir den Gefallen, okay?“
Der Fremde wandte sich zu ihr um und musterte sie mit schräg gelegtem Kopf. Eine Geste, der etwas Unschuldiges und Kindliches anhaftete. Vor ihr stand die fleischgewordene Fantasie einer entrückten Seele, die beim Anblick des Meeres von Wundern in der Tiefe träumt.
Zu dumm, dass er nicht echt war. Nicht echt sein konnte.
„Warum?“, fragte er plötzlich.
Na bitte, reden konnte er schon mal.
„Warum was?“, gab sie zurück.
„Warum sagst du, dass ich gehen soll, obwohl du es gar nicht willst?“
Großer Gott, seine Stimme. Sie erinnerte zu sehr an das ferne, vertonte Sehnen in ihrem Traum. Aber das tat nichts zur Sache. Wie konnte er sich anmaßen, sie über ihre Gefühle aufzuklären? Er hatte ja keine Ahnung. „Ich werde sterben, deswegen“, blaffte sie ihm entgegen. „Mein Gehirn spielt verrückt. Ich weiß nicht mehr, was echt ist und was nicht. Bitte geh. Sonst wird alles nur noch schlimmer. Hau ab, na los. Oder ich hetze meine Katze auf dich.“
Ausdruckslos starrte er sie an. Ihre Hände und Füße begannen zu kribbeln. Gut möglich, dass sie wieder einen Anfall bekam. Vielleicht würde es ihr Letzter sein. Fae hoffte es, denn alles andere würde bedeuten, wieder in einem Krankenhaus aufzuwachen. Mehr tot als lebendig, gespickt mit Nadeln wie eine Tanne.
„Schwing endlich die Hufe!“
Sie war wütend und unhöflich.
Es war nicht richtig, ihre Launen an einem Fremden auszulassen. Aber
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