Die Seelenjägerin - 1
allein!«
Erschrocken zog sich die Frau zurück. Siderea hörte andere Diener an der Tür, die Schreie hatten sie angelockt, aber jetzt hatten sie offenbar nicht mehr den Mut, das Zimmer zu betreten. Dann wurde die Tür wieder geschlossen, und sie blieb allein mit dem Rauch und mit ihrer Angst …
Und mit der Wahrheit.
Benommen rappelte sie sich auf und versuchte abermals, ihre Kräfte zu bündeln. Der Raum drehte sich schwindelerregend, aber endlich gelang es ihr doch. Ein kleiner Sieg. Noch war ihr Leben nicht vorbei.
Warum bin ich nur so überrascht? , dachte sie dumpf. Sie hatte schon immer gewusst, dass ihr Leben einmal so enden würde. Die Magister konnten ihr Jugend und Schönheit erhalten, aber das war nur eine Notlösung, um ihr die Tage auf Erden angenehmer zu machen. Ihre Lebensspanne konnten sie um keinen einzigen Tag verlängern, solange sie nicht eine der ihren wurde.
Wenn sie ihr Leben nicht selbst auslöschen wollte, durfte sie keine Hexerei mehr betreiben. Ihr blieben ohnehin nur noch wenige Tage. Ihr Seelenfeuer war schon fast erschöpft gewesen. Bald könnte es keine Wärme mehr spenden, um sie am Leben zu erhalten, und dann wäre sie nicht einmal mehr mit Magie zu retten.
Sie haben es gewusst , wurde ihr plötzlich klar.
Die Erkenntnis, dass den Magistern ihr Zustand bekannt sein musste, ohne dass sie ihr etwas davon gesagt hatten, versetzte ihr den letzten Schlag. Warum sonst sollten sie sich jetzt fernhalten? Die Schamesröte schoss ihr ins Gesicht … und dann schlug die Scham in Zorn um. Sie hatten sie ein Leben lang benützt, hatten selbstverständlich hingenommen, dass sie alles tat, um ihre abgeschottete Gemeinschaft zu unterstützen, und nun wollten sie tatenlos zusehen, wie ihr Leben endete? Wollten es ihr selbst überlassen, die Wahrheit herauszufinden, sich ihr zu stellen, den Abstieg in die Finsternis anzutreten, ohne von einer einzigen helfenden Hand gestützt zu werden?
Mit einem Aufschrei der Wut riss sie eine Vase von einem Tisch und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die Wand; sie zerbrach in tausend Scherben. Das Kohlebecken folgte und verstreute rauchende Asche über den Steinfußboden. Vor der Tür tuschelten die Diener, aber sie wagten nicht einzutreten, solange ein Gegenstand nach dem anderen durch den Raum flog. Diese Narren! Sie wussten nicht, was Wut oder gar Scham war! Ihnen hatten niemals mächtige Männer aus der Hand gefressen, um sie am nächsten Tag im Angesicht des Todes im Stich zu lassen wie eine namenlose Waise.
Zitternd ließ sie sich zu Boden sinken. Der Rauch hatte sich ein wenig verzogen, aber das Atmen fiel ihr immer noch schwer. Die Papierfetzen auf dem Boden waren schwarz verkohlt, unbeschriftet, bedeutungslos. Nur in den Händen einer Hexe könnten sie ihre Macht entfalten, und sie war keine Hexe mehr. Sie war nur eine Morata, die ihre besten Jahre weit hinter sich hatte und jetzt dem Tod ins Antlitz sah.
Wut und Trauer übermannten die Hexenkönigin, und sie brach in Tränen aus.
Kapitel 41
Den Göttern sei Dank für Schminke und Puder , dachte Gwynofar.
Sie hatte eine volle Stunde gebraucht, aber endlich zeigte der blanke Silberspiegel, den sie sich vorhielt, halbwegs das gewohnte Bild. Die schwarzen Ringe unter den Augen waren weggepudert. Eine Spur Korallenstaub erwärmte die Blässe der Haut. Das Haar war gebürstet worden, bis es glänzte wie Gold, und Merian hatte dafür gesorgt, dass es von Kiefernnadeln und Erdkrumen frei war.
Die größte Veränderung war allerdings, dass sie anstelle ihres Trauergewands eine granatrote Seidenrobe angelegt hatte; die Farbe verlieh ihrem Teint Leben und Wärme. Jetzt hielt sie das lange Haar in die Höhe, und Merian legte ihr eine zweireihige Kette aus cremefarbenen Perlen mit einem zierlichen Exemplar des doppelköpfigen Aurelius-Habichts um. An ihren Fingern blitzten Ringe, die sie seit Wochen nicht mehr getragen hatte. Unter der goldenen Wolke ihres Haares lugten Perlenohrringe hervor.
Sie sah wie eine wahre Königin aus.
Jemand klopfte mit schwerer Hand an die Tür. Merian lief hin und öffnete.
Rurick trat ein und sah sich erst um, bevor er den Blick auf Gwynofar richtete. Sein knappes Nicken bestätigte, dass ihre Bemühungen erfolgreich gewesen waren … auch wenn er nicht sicher war, wie viel ihr das letztlich nützen würde.
»Kostas ist tatsächlich fort«, sagte er. »Er bekam heute Morgen irgendeinen Magierauftrag. Keine Ahnung, wie lange seine Abwesenheit dauern wird. Niemand
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