Die Seelenjägerin
aufzuseufzen. Die letzte Stunde war ihr vorgekommen wie eine Ewigkeit. Man konnte sich keine Gäste einladen, um sie dann Knall auf Fall aus dem Haus zu werfen, das gäbe zu allen möglichen Gerüchten Anlass. Man musste sie zum Gehen bewegen, ohne dass sie es merkten – musste sie geradezu verführen –, bis jeder Einzelne glaubte, genau den richtigen Moment für seinen Abgang gefunden zu haben. Alles andere war politisch undenkbar.
An sich war sie eine Meisterin in diesem Spiel, empfand es aber stets als ermüdend, weshalb sie sich freute, als es dann endlich vorüber war.
Endlich ungestört in ihren Gemächern, in der geheimen Kammer, zu der kein Diener jemals Zutritt hatte, beschwor sie gerade so viel Macht, um das Schloss der Truhe zu öffnen, zu der es keinen Schlüssel gab. Es war nur ein Hauch von Macht, der sie gewiss kaum eine Sekunde ihres Lebens kostete. Dieser Einsatz ihrer Hexenkräfte, um ihre Geheimnisse zu hüten, war ihr einziges Zugeständnis … vielleicht auch ein Zugeständnis an die Magister. Denn sollten diese Geheimnisse jemals in fremde Hände fallen, weil sie ihr eigenes Leben über die Interessen ihrer Gönner gestellt hatte, würden die sie für ihren Fehler teuer bezahlen lassen. In diesem Punkt machte sie sich keine Illusionen. Auch wenn sie neben ihr auf seidenen Kissen lagen und ihr die süßen Lügen aller Liebhaber ins Ohr flüsterten, vergaß sie nie den Unterschied, der sie voneinander trennte; und für die Magister galt das sicherlich auch.
Die kleine Truhe enthielt ihren wertvollsten Besitz, Liebespfänder von Männern, die gewöhnlich niemandem vertrauten … oder Dinge, die sie zurückgelassen hatten, ohne es zu merken. Ein Kissen, an dem eine abgestreifte Wimper hing. Ein Leinenhandtuch, dem noch der Schweißgeruch anhaftete. Alle Gegenstände waren ordentlich in Seide verpackt – Seide schützte angeblich vor spiritueller Verunreinigung – und wurden ohne Namen aufbewahrt. Nur sie selbst wusste, was zu welchem Magister gehörte.
Die Liebespfänder, die man ihr wissentlich gegeben hatte, lagen in einem Seidenbeutelchen an einer Seite der Truhe. Nichts davon war von Dauer und hätte gegen den Geber verwendet werden können, denn es handelte sich nur um einen Hauch der Persönlichkeit jedes Magisters, gleich einem Kuss auf feinem Papier, das wie ein Liebesbrief zusammengefaltet war. Auch hier fehlte der Name. Die Briefchen waren in der Reihenfolge eingeordnet, in der sie die Besitzer kennengelernt hatte, und darauf konnte keine andere Hexe kommen. Das Arsenal, das von seinen Möglichkeiten her gefährlicher war als jedes Waffenlager, war gut geschützt.
Langsam und bedächtig durchblätterte sie die Zettel und zog schließlich drei heraus, die von ihren umgänglichsten Liebhabern stammten. Es war ein Kompromiss. Wenn sie nur einen riefe, könnte er vielleicht nicht schnell genug kommen, wenn sie alle herbeizitierte, würden sie sich aufs Heftigste befehden, und darauf wollte sie sich nur im dringendsten Notfall einlassen. Die drei Auserwählten würden es noch am ehesten hinnehmen, dass auch andere hinzugezogen wurden; und das war keineswegs selbstverständlich. Manche der Schwarzröcke hielten es keine Stunde zusammen mit ihresgleichen an einem Ort aus, ohne ein magisches Kräftemessen zu veranstalten. In Sankara war es erst ein paarmal dazu gekommen, aber die Folgen waren so kostspielig gewesen, dass sie auf weitere Erlebnisse dieser Art gerne verzichtete.
Ganz abgesehen davon, dass sie schon mit allen das Bett geteilt hatte und man als Frau nie mehr als zwei ehemalige Liebhaber in einen Raum setzen sollte, ohne vorher alles wegzuräumen, was zerbrechlich war.
Zuerst verschloss sie die Truhe und dann den geheimen Raum, in dem sie stand, danach befahl sie einem Diener, ihr Feuerstein und ein kleines Kohlebecken zu bringen. Ihre Leute waren an solche Aufträge gewöhnt, und so war das Nötige bald zur Hand.
Sie nahm einen tiefen Atemzug und wartete, bis ihre Seele so weit zur Ruhe gekommen war, dass das Athra frei strömen konnte. So hatte ihr Vater, ebenfalls ein Hexer, es sie einst gelehrt. Inzwischen setzte sie ihre Macht nur noch selten ein – es war auch nur selten erforderlich –, aber manchmal ließ es sich nicht umgehen. Die Pfänder halfen ihr, ihre Kräfte zu bündeln, aber wenn diese Kräfte die Verbindung zu den Magistern herstellen sollten, musste ihre eigene Seele die Energie dazu liefern.
Es kostet mich höchstens eine Minute meines Lebens ,
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