Die Seelenjägerin
tröstete sie sich. Das ist nicht zu viel, um jemanden zu rufen, der Größeres vermag.
Als sie sich bereit fühlte, das Athra nach ihrem Willen zu formen, entfachte sie eine Flamme und steckte die Briefchen in Brand. Der Rauch war rein und wohlriechend, sie schloss die Augen, atmete ihn ein, nahm die geistigen Signaturen der Magister in sich auf, verband sie mit einer Botschaft und schickte sie über die entstandene Verbindung ab. Das Verfahren war so anstrengend, als sträubte sich ihre Lebenskraft dagegen, und als der Ruf endlich abgesetzt war, erschien er ihr viel zu schwach. War sie etwa zu müde – oder vielleicht zu angespannt – für einen einfachen Verbindungszauber? So etwas war ihr noch nie widerfahren. Sie war als Hexe ein Naturtalent, und das schon seit ihrer Kindheit, sie hatte nur mit größter Anstrengung gelernt, die Macht nicht einzusetzen. Was sie jetzt fühlte, war ungewohnt, fast als wollte ihre Seele das Athra nicht freigeben. Merkwürdig … und beunruhigend.
Schaut durch meine Augen , flüsterte sie mit dem Rauch den fernen Magistern zu, die ihre Botschaft empfingen. Seht Euch an, was hier geschieht.
In welcher Form die Magister ihre Botschaft empfingen, hing natürlich von ihrem jeweiligen Seelenzustand ab. Wer wach war, erkannte wahrscheinlich, dass ihm Visionen geschickt wurden und von wem sie kamen. Wer jedoch schlief, gliederte ihre Nachricht womöglich in die Landschaft seiner Träume ein, ohne zu begreifen, dass diese wenigen Bilder von besonderer Bedeutung waren. Ein weiterer Grund, warum ein Ruf an einen Magister nicht immer von Erfolg gekrönt war.
Sie schloss die Augen und stellte sich den Reisenden so vor, wie sie ihn gesehen hatte, blutbefleckt und voller Schmutz. Dann wiederholte sie im Geiste seine grausige Erklärung und seine Unheilsprophezeiung. Das ganze Land zerstört … alle tot … ein großes Ungeheuer … es wird auch hierher kommen …
Er ist im Fieberwahn , dachte sie in den Rauch hinein. Ich brauche Hilfe, um seinen Geist zu bändigen und ihm seine Geheimnisse zu entlocken.
Endlich war es vollbracht. Sie saß mit gesenktem Kopf vor dem Kohlebecken und fragte sich, warum sie sich so schwach fühlte. Wenn sie sonst – selten genug – ihre Hexenkräfte eingesetzt hatte, war sie hinterher eher erfrischt gewesen, Körper und Seele hatten nur so vor Lebensenergie gestrotzt. Jetzt war es genau umgekehrt. Als hätte sie, indem sie auf ihre Macht zugriff, eine Wunde geöffnet, die ihre Energien in die Nacht entließ und sie immer mehr schwächte.
Die Botschaft ist unterwegs. Nur darauf kommt es an. Wenn mir etwas fehlt, wird schon bald jemand hier sein, der mir helfen kann.
Sie ließ sich auf ihrem Lager nieder und schloss die Augen, um ein wenig zu schlafen. Wenn die Magister erst eingetroffen waren, fand sie dafür wahrscheinlich kaum noch Zeit.
Es kamen drei Magister, aber nicht die drei, die sie gerufen hatte. Colivar war der Erste, der unangekündigt, ohne Fanfarenstoß die Meilen zwischen Hier und Dort überwand. Zu ihrer Überraschung brachte er Sula mit, einen jungen Mann von angenehmem Äußeren mit der hellen Haut und dem blonden Haar der nordischen Völker, der sie erst einmal besucht hatte. »Er ist an dieser Sache interessiert«, bemerkte Colivar geheimnisvoll, fand sich aber nicht zu weiteren Erklärungen bereit. Siderea gab sich damit zufrieden. Dieser Magister bestimmte selbst, wann er sie ins Vertrauen zog, das mochte bisweilen ärgerlich sein, aber sie war sicher, dass er sie in Dingen, die die Sicherheit ihres Reiches betrafen, nicht im Ungewissen ließe.
Wenig später traf Fadir ein, wie üblich in einem stämmigen Körper mit rotem Haar. An seinen langen dicken Zöpfen hingen Amulette und Glücksbringer wie barbarische Trophäen. Siderea beobachtete aufmerksam, wie er und Colivar einander misstrauisch beschnüffelten wie zwei Hunde; offensichtlich hatte keiner von beiden erwartet, dass auch andere Magister anwesend wären. Sie freute sich über den kleinen Triumph – wie immer, wenn es ihr gelang, ihre magischen Liebhaber zu überraschen. Sie wusste ja, dass alles, was neu war, in ihrer Welt den größten Wert hatte.
Sie umriss ihren Gästen in groben Zügen die Lage. Colivar lauschte mit finsterer Miene. Fadir war lediglich vorsichtig. Sula wirkte so neugierig und eifrig wie ein junger Moratus, und sie fragte sich, ob er womöglich erst vor Kurzem zur Unsterblichkeit gelangt war. Oder gab er sich nur so, um seine Rivalen in Sicherheit zu
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