Die Seelenkriegerin - 3
hatte eine Zeit gegeben, da war sie nicht einmal Herrin über ihr eigenes Schicksal gewesen, geschweige denn über das anderer Menschen. Wie lange war das her! Seither hatte sie viele Jahre in Sankara verbracht, wo man ihr jeden Wunsch von den Augen ablas und jeder Laune nachgab. Da fiel es nicht schwer zu vergessen, dass sie ihr Leben unter ganz anderen Umständen begonnen hatte. Nicht schwer, die Verzweiflung dieser frühen Jahre zu verdrängen. Dennoch wirkte sie in ihrer Seele noch nach und heizte den Machthunger, der in ihren Adern brodelte, sicherlich an. Und dass sie sich ausgerechnet ein Wüstenreich als Eroberungsziel auserkoren hatte, verlieh dem Ganzen eine pikante Ironie.
Damals warst du noch keine Königin , nahm die Ikata ihre Gedanken auf.
Wie viele unausgesprochene Fragen mochten hinter diesen Worten stehen? Bisher hatte Siderea ihrer geflügelten Konjunkta nicht ihre ganze Geschichte offenbart. Würde sie solche Entscheidungen irgendwann nicht mehr aus freiem Willen treffen können? Würde sie ihre geistige Privatsphäre ganz und gar verlieren und nicht mehr die Möglichkeit haben, Geheimnisse für sich zu behalten? Nicht auszuschließen. Doch mit gewissen Erinnerungen wäre die junge Ikata womöglich überfordert gewesen, und deshalb hatte Siderea sie ihr zunächst noch vorenthalten.
Nein , dachte sie ernst und beantwortete damit alle Fragen auf einmal, ohne sie tatsächlich zu beantworten. Damals war ich keine Königin.
Schritte näherten sich. Sie klangen kraftvoll und zielstrebig, wie es sich für einen neu gekrönten Fürsten geziemte. Nasaans Treffen mit den Ältesten der Stadt musste gut gelaufen sein.
Sie strich das feine Seidengewand über den Rundungen ihres Körpers glatt. Solche Stoffe kosteten hier ein Vermögen, aber was kümmerte sie das? Selbst wenn adelige Speichellecker dem neuen Fürsten nicht das Vermögen ganzer Nationen zu Füßen gelegt hätten – darunter auch ballenweise Seide und golddurchwirktes Tuch aus Königreichen von der anderen Seite der Welt –, hätte sie den anchasanischen Kaufleuten dennoch keine einzelne Münze für ihre überteuerten Waren zu bezahlen brauchen. Sie konnte noch den armseligsten Fetzen minderwertiger gesprenkelter Wolle in jeden beliebig teuren Stoff verwandeln. Und mit etwas mehr Aufwand – und sehr viel mehr gestohlenem Athra! – konnte sie sich einfach beschwören, was sie brauchte, als käme es aus dem Nichts.
Ganz selbstverständlich zaubern zu können, ohne darüber nachzudenken. Ein Luxus, der einem zu Kopf stieg! Kein Wunder, wenn die Magister von ihrer eigenen Macht berauscht waren. Ein Wunder war es eher, dass sie sich überhaupt noch normal gebärdeten.
Die Doppeltüren öffneten sich, Nasaan trat ein, und hinter ihm wurden die Türen von unsichtbaren Dienern lautlos wieder geschlossen. Er war ein kräftiger Mann mit harten Muskeln und großem Selbstbewusstsein; seine Narben, in vielen Kämpfen erworben, hoben sich weiß von der sonnenverbrannten Lederhaut ab. Durchaus anziehend auf seine Weise, aber seine Ausstrahlung beruhte ausschließlich darauf, dass er die Rolle des wilden Kriegers spielte. Eine solche Präsenz ließ sich durch noch so viel Seide und Parfüm nicht dämpfen.
Er hatte sich für seinen Lederharnisch entschieden, vielleicht um die Ältesten der Stadt daran zu erinnern, dass sie mit einem Krieg rechnen mussten, wenn sie ihn verärgerten, und als er nun den Raum betrat, ging Siderea auf ihn zu und half ihm, den Panzer abzulegen. Er beobachtete sie dabei mit Habichtsaugen, registrierte jede Bewegung, suchte in jedem Atemzug eine versteckte Bedeutung. Seit dem Tag der Eroberung hatte sie ihn zu allen öffentlichen Anlässen begleitet, und ihre kultivierte Schönheit hatte ihm eine gesellschaftliche Anerkennung verschafft, die dem grobschlächtigen Krieger allein nicht unbedingt gewährt worden wäre. Die Gerüchte, wonach sie ein Wüstengeist – oder zumindest eine mächtige Hexe – sei, hatten seinen Ruf noch weiter untermauert. Was musste man für ein Mann sein, um sich die Loyalität eines solchen Wesens zu verdienen?
Die ganze Zeit über hatten sie kaum Gelegenheit gefunden, miteinander allein zu sein. Deshalb hatten sie noch nicht geklärt, wie sich ihre Beziehung abseits der neugierigen Augen von Priestern und Politikern gestalten sollte. Sie hatte auch diesen Auftritt mit großer Sorgfalt inszeniert und darauf geachtet, dass er nicht sie dahinter vermutete. Als sie nun die kurzen Riemen
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