Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Kreatur und waren ebenso blind, wie er es vor Sekunden noch gewesen war?
Er wälzte sich auf den Rücken und stieß den Speer mit beiden Händen nach oben. Wo sich sein Ziel gerade befand, war ihm gleichgültig, er wollte sich lediglich etwas mehr Bewegungsfreiheit verschaffen. Der riesige Körper schien mit seiner Masse die Sonne auszulöschen, und der süßliche Moschusduft reizte seine Lungen wie giftiger Rauch. Würgend kämpfte er sich zum Stehen hoch, blieb jedoch so nahe bei seiner Mutter, dass er sie auch weiterhin beschützen konnte.
Wo waren die anderen? Warum kamen sie ihm nicht zu Hilfe? Selbst wenn sie das Ungeheuer nicht sehen konnten, mussten sie doch merken, dass er mit etwas kämpfte, und könnten vielleicht mit ihren Pfeilen auf die Stelle zielen, wo sich dieses Etwas befand. Doch als er den Speer mit beiden Händen packte und sich vornahm, ihn der Königin in den Leib zu stoßen, sobald sie in Reichweite kam, wurde ihm zu seiner tiefen Verzweiflung klar, dass die Macht der Königin auf andere Weise wirkte. Sein Gefolge konnte ihm nicht helfen, weil alle auf andere Dinge achteten: auf anrückende Stammeskrieger; auf die Rückkehr der männlichen Seelenfresser; vielleicht sogar auf einen nahenden Sandsturm. Jeder, der im Bann der Königin stand, konnte einen eigenen Grund nennen, warum er nicht in diese Richtung schaute, ohne überhaupt zu merken, dass er es nicht tat.
Salvator war allein auf sich gestellt.
Wenige Meter über ihm bewegte der Seelenfresser seine mächtigen Schwingen und wirbelte rundum den Sand auf. Der Luftzug wehte Salvator das Haar ins Gesicht, als er mit dem langen Speer antäuschte, um die Königin auf Abstand zu halten, und sich zugleich in fieberhafter Eile die wichtigsten anatomischen Besonderheiten der Seelenfresser in Erinnerung rief, um eine verwundbare Stelle zu finden. Der Körper dieses Seelenfressers war länger und dünner als auf den Diagrammen, die ihm Favias gezeigt hatte, und einige Hinweise auf die größeren Organe fehlten. Dabei wusste er, dass er wahrscheinlich nicht mehr als einen Stoß anbringen konnte. Dieser musste also sitzen!
Plötzlich stieß der große dreieckige Kopf mit gefletschten Zähnen auf ihn herab. Er hielt den Speer schräg nach oben, sodass ihn das Ungeheuer nicht erreichen konnte, ohne sich aufzuspießen. Enttäuscht wich es zurück, und die großen Kiefer schlossen sich mehrere Fuß vor seinem Kopf. Die Königin war ihm jetzt so nahe, dass er ihren Atem auf seiner Zunge spürte, diese ekelhafte Süße mit dem Nachgeschmack von Verwesung. In den großen schwarzen Augen sah er sein eigenes schweißüberströmtes Gesicht in tausend gleich geformten Facetten gespiegelt, und jäh erkannte er, dass er sie blenden konnte, bevor sie zurückwich. Er musste nur schnell genug sein. Mit einem leisen Gebet winkelte er den Speer an …
… und erhielt unversehens einen heftigen Schlag in die Seite. Er flog durch die Luft und schlug mit solcher Wucht auf dem Boden auf, dass ihm die Luft wegblieb. Die ganze Welt färbte sich rot, Sand und Blut füllten seinen Mund, und als er beides aushusten wollte, fuhr ihm ein schmerzhafter Stich durch die Brust. In seinem Kopf hörte er Favias’ dröhnende Stimme, die ihn zur Vorsicht mahnte. Sie kämpfen mit dem Schwanz. Unterschätzt die Reichweite nicht.
Er blinzelte den Schmerz weg und stemmte sich mühsam auf einen Ellbogen, um wieder auf die Beine zu kommen. Auf einer Seite seines Harnisches war eine Delle, der Schlag war so heftig gewesen, dass er den Stahl eingedrückt hatte; hätten sie nicht auf Sand gekämpft, er wäre wohl nicht mehr am Leben. Bei jedem Atemzug durchzuckten ihn stechende Schmerzen; sicherlich waren eine oder mehrere Rippen gebrochen. Aber so durfte es nicht enden. Sie hatten so viel auf sich genommen, um bis hierher zu kommen. Er durfte dieser Kreatur den Sieg nicht gönnen!
Sein Blick klärte sich allmählich, sodass er seinen Speer neben sich auf dem Boden liegen sah. Er streckte den Arm aus, um danach zu greifen. Doch plötzlich legten sich von hinten messerscharfe Klauen um ihn, umschlossen ihn so unerbittlich wie ein Schraubstock und rissen ihn mit einem Ruck in die Höhe. Der Schmerz war so heftig, dass er nun selber wie geblendet war; als er wieder sehen konnte, war der Boden weit unter ihm, und er war so benommen, dass er weder die Stadt noch das Lager daneben finden konnte.
Die Klauen des Seelenfressers lagen wie Eisenbänder um seine Brust; wenn Salvator nicht einen
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