0378 - Aufstand der Henker
Er nahm eine brennende Zigarre vom Rand eines Aschenbechers, der aus purem Gold zu sein schien, schob sie zwischen seine wulstigen Lippen und paffte ein paar Züge. Radoc saß hinter seinem Schreibtisch wie hinter den Mauern eines Forts.
Neben dem Gangsterchef, leicht auf die Lehne seines Sessels gestützt, stand Laureen Hadar, jung, schlank, blond und mit dem Gesicht eines Engels. Sie trug ein blaues Kleid von raffinierter Schlichtheit, und nur ein schmaler Platinring mit einem Brillant von der Größe eines Fingernagels deutete darauf hin, daß sie.die Frau war, der James Radoc Geschenke zu machen pflegte.
Laureen Hadar lächelte mich an, als wäre ich ein langerwarteter, lieber Besuch.
Der Mann, der links neben Radoc am Seitenende des Tisches stand, lächelte nicht. Er starrte mich mit finsterer Ausdruckslosigkeit an. Er war groß, breitschultrig, und er hieß Rey French. Das FBI war überzeugt, daß er in James Radocs Auftrag mindestens fünf Morde begangen hatte. Er war mehr als nur ein Gorilla aus Radocs Schlägergarde. Er war sein Henker.
Radoc öffnete seinen Krötenmund.
»Setz’ dich, G-man!« Mit der Zigarre wies er auf einen Sessel.
»Laureen, einen Drink für den G-man!«
Sie lächelte noch freundlicher.
»Was bevorzugen Sie? Scotch? Gin? Mit Soda? Oder pur?«
»Nichts«, antwortete ich lakonisch und ließ mich in den Sessel fallen.
Laureens Lächeln erlosch, für die Dauer einer Sekunde sah sie nicht mehr aus wie ein Engel, sondern bösartig wie eine kleine, wütende Katze.
Radoc legte die Zigarre in den Aschenbecher zurück.
»Mach’s kurz, G-man!« knurrte er. »Ich habe wenig Zeit.«
»Okay«, sagte ich. »Kennst du Tessie Williams?«
Er antwortete ohne Zögern: »Nein.«
»Tessie war vierundzwanzig Jahre alt, Mulattin, arbeitete als Tänzerin in der Close-Nightshow, verkaufte seit nahezu einem Jahr Rauschgift und war seit etwa sechs Monaten selbst süchtig geworden. Seit achtundvierzig Stunden ist sie tot.«
»Ein kurzgefaßter Lebenslauf«, sagte Radoc höhnisch, »aber mich interessieren die Lebensläufe von Tänzerinnen nicht, schon gar nicht der Lebenslauf einer toten Tänzerin.«
Er drehte den Kopf zur Seite und streckte einen Arm aus, um ihn um Laureen Hadars Hüfte zu legen. Das Girl entzog sich ihm mit einer leichten Körperdrehung. Radoc schien es nicht zu bemerken oder er wollte es nicht bemerken.
»Seit ich Laureen habe, gibt’s für mich keine Tänzerinnen mehr«, sagte er.
»Tessie Williams verkaufte dein Rauschgift, Radoc.«
Er nahm die Zigarre wieder vom Aschenbecherrand, aber der Griff war zögernd, und die Zigarre zitterte zwischen seinen Fingern.
»Ich vertreibe kein Rauschgift.«
»Tessie Williams wurde durch zwei Kugeln vom Kaliber 42 getötet«, sagte ich, wandte den Kopf und sah Rey French an. »Welches Kaliber bevorzugst du, Rey?«
Mit dem gleichen Erfolg hätte ich einen Felsblock ansprechen können. Nicht ein Muskel bewegte sich in Frenchs kantigem, häßlichen Gesicht mit den breiten Backenknochen. Seine großen, leicht vorquellenden braunen Augen starrten mich unverändert mit dem gleichen trüben Blick an.
Sehr schnell stand ich aus dem Sessel auf. Vier große Schritte brachten mich um den Schreibtisch herum, und ich stand vor Radocs Henker.
Er nahm den Oberkörper zurück. Ich tippte mit dem Zeigefinger auf den mittelsten Knopf seiner Jacke.
»Ich will sehen, was du unter der Achsel trägst, Rey.«
Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Die messerschmalen Lippen seines breitgezogenen Mundes bewegten sich kaum, als er knurrte:
»Sieh nach, wenn es dir Spaß macht.« Ich knöpfte den Knopf auf, und er ließ es geschehen, aber langsam hob er den rechten Arm und ballte die Hand zur Faust. Ich sah ihm in die Augen, und er hielt meinem Blick stand.
»Dazu hast du kein Recht, G-man!« sagte Radoc. Als er sah, daß ich seine Worte nicht beachtete, setzte er rasch hinzu:
»Zeige ihm deine Kanone, Rey!«
Rey ließ den Arm sinken und öffnete die Finger.
»Wenn du es sagst, James! Bedien’ dich selbst, G-man!«
Ich grinste.
»Unter der rechten Achsel, nicht wahr? Du bist doch Linkshänder, Rey?« Ich griff unter sein Jackett und fischte die Waffe aus der Halfter. Ich spürte schon am Gewicht, daß es kein 42er-Kaliber sein konnte, und ein Blick zeigte mir, daß es eine kleinkalibrige Pistole war.
»Für diese Waffe besitzt Rey eine Lizenz«, sagte Radoc. »Ich verwahre sie für ihn.«
Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches.
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