Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
bereitfinden.
Beweise mir, wie wichtig dir dieses Projekt ist , dachte Colivar. Beweise mir, wie weit du zu gehen bereit bist, um es zur Verwirklichung zu bringen.
»Ramirus«, sagte der Fremde. »Ich heiße Ramirus.«
Er wandte sich abermals zum Gehen. In der Ferne krächzten noch immer die Raben. Diesmal hielt Colivar ihn nicht zurück.
Der Anfang
Kapitel 1
Der Angriff begann im Morgengrauen.
Die meisten Bewohner von Jezalya schliefen noch und verließen sich darauf, dass ihre Wachposten bei einem Überfall Alarm schlagen würden. Doch im Grunde rechnete niemand damit. Die Wüstenstadt war von einer hohen, dicken Mauer umgeben, die über Jahrhunderte mit Hexenkräften verstärkt worden war; nur ein Narr würde versuchen, sie zu durchbrechen. Schon gar nicht bei Nacht, wenn sogar die wildesten Krieger ihre Waffen beiseitelegten und die Herrschaft über den Sand den Eidechsen und den Dämonen überließen.
Das war ein Irrtum.
Vor der Stadt wartete Nasaan und beobachtete die gewaltige Mauer durch ein Fernglas. Er befehligte ein kleines, aber loyales Heer von Stammeskriegern aus den mächtigsten Wüstensippen. Sie waren vielleicht nicht alle so gut bewaffnet wie Jezalyas Soldaten, doch dafür waren sie zehn Mal so tapfer und sowohl durch Blutsbande wie durch Treueeide an ihn gefesselt. Auch seine Hexen und Hexer waren mit ihm verwandt, was bedeutete, dass sie bereitwillig ihr Leben hingeben würden, um ihm den Sieg zu sichern. Sie waren aus ganz anderem Holz geschnitzt als die Hexen und Hexer von Jezalya, die dem Fürsten der Stadt ihre Kräfte nur in genau bemessenen Dosen und gegen ein ebenso genau berechnetes Entgelt zur Verfügung stellten. Gewiss würden diese Hexen und Hexer in kleineren Dingen behilflich sein und sogar hin und wieder die Kristallkugel befragen, aber ihre Hilfsbereitschaft hatte Grenzen. Sobald sie zu der Überzeugung gelangten, dass Jezalya verloren war, würden sie wie die Ratten aus der Stadt flüchten, ohne den kleinsten Bruchteil ihrer kostbaren Lebenszeit auf deren Rettung zu verschwenden.
Jedenfalls hatten das Nasaans Spitzel beteuert, nachdem sie monatelang Erkundungen angestellt hatten.
Im Osten kroch allmählich ein blassblauer Schein über den Horizont und kündigte die Dämmerung an. Die Stadt erwachte, dachte Nasaan. Der große Markt im Herzen Jezalyas würde öffnen, sobald es vollends Tag wurde, deshalb waren die eifrigsten Händler bereits dabei, ihre Waren ordentlich auszulegen, um mit den Reihen von jungem Gemüse und Fleisch von frisch geschlachtetem Vieh die Kunden anzulocken. Schon holperten die ersten Wagen durch die schmalen Gassen und beförderten vor Beginn des neuen Handelstages die Waren an den gewünschten Ort. Kaufleute, die in Jezalya übernachtet hatten, stellten ihre Karawanen zusammen und bereiteten sich auf die Weiterreise vor. Und oben auf der großen Mauer beobachteten die Wachposten unsäglich gelangweilt den heller werdenden Himmel. Abermals war eine Nacht ohne Zwischenfälle vergangen. Sie waren nicht überrascht. Der Krieg war ein Geschöpf des Tages, und wenn das Unheil nun käme, hätten sie ihre Wache bereits hinter sich.
Der zweite Irrtum.
Noch war es nicht hell genug, um alles sehen zu können, doch Nasaans Fernglas verstärkte dank eines Hexenzaubers das wenige Tageslicht und erleichterte ihm die Beobachtung. Oben auf der Mauer gingen die Posten auf und ab und ließen den Blick über die kahle Ebene rings um Jezalya schweifen. Nasaan erschrak, als ein Mann in seine Richtung schaute, aber seine Hexer hatten dafür gesorgt, dass der Feind ihn und seine Leute nicht sehen konnte, und ihre Bannsprüche waren offenbar wirksamer als alle Zauber, die Jezalya vor nahendem Umheil warnen sollten.
Seine Männer fieberten dem Angriff sichtlich entgegen. Aber ein verfrühter Sturm auf die Stadtmauer wäre sinnlos. Erst wenn die von ihm angeordneten Vorbereitungen im Inneren der Stadt abgeschlossen waren, konnten er und seine Leute in Aktion treten. Sonst würden sie von der dicken Mauer aufgehalten, an der schon größere Heere gescheitert waren. Eine solche Barriere war von außen nicht einzunehmen.
Er mahnte seine Soldaten leise zur Ruhe und wartete.
Oben auf der Mauer erlosch unvermittelt eine der Laternen. Nasaan erstarrte. Ein paar Sekunden vergingen, dann ging das Licht wieder an, und die Laterne wurde auf- und abbewegt: einmal, zweimal, dreimal.
Das vereinbarte Zeichen.
Noch war kein Alarm zu hören. Der trockene Wind trug ihnen aus der
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