Die Seelenräuberin: das zweite Abenteuer von Lyala Mendes, dem weissen Werwolf (German Edition)
stieß ein wütendes Brüllen aus, das in seinem ganzen Revier zu hören sein musste. Die Frau sollte merken, dass er ganz in ihrer Nähe war. Doch die Frau schien selbst dies überhaupt nicht zu kümmern. Unbeeindruckt fuhr sie fort, ihre Kräuter aus der Erde zu ziehen. Dabei summte sie sogar eine heitere Melodie, fast so, als ob sie in ihrem eigenen Garten im Schutz ihrer Dorfes sei und nicht inmitten von Tas Revier. Jetzt wurde Tas wirklich wütend. Innerhalb seines Reviers hatten alle Lebewesen ihm Respekt entgegen zu bringen! Erst recht eine, dieser schwachen, unzulänglichen Menschen. Mit einem gewaltigen Satz sprang Tas auf die Lichtung. Doch nicht einmal diese Aktion schien die Frau zu erschrecken. Sie drehte sich zwar um, begann dann aber zu lächeln, ohne dabei jedoch ihr Lied zu unterbrechen. Tas hatte seine Wut in diesem Moment, als er die Frau lächeln sah, nicht mehr beherrschen können und hatte all seine Empörung herausgebrüllt. Doch die Frau zuckte nicht einmal zusammen. Sie kam ihm sogar mit ausgestrecktem Arm entgegen. Tas bückte sich und machte sich zum Angriff bereit. Die Frau blieb tatsächlich stehen. Hatte sie nun endlich, verstanden, dass die letzten Sekunden ihres jämmerlichen Lebens in diesem Moment begannen? Bekam sie endlich die Panik, die ihrem Blut dann diese besondere Würze verlieh? Nein, sie lächelte wieder und begann wieder ihr Lied zu pfeifen. Dabei beobachte sie Tas. Sie hatte jedoch überhaupt keine Panik im Blick. Viel eher schien es sie fast zu freuen, dass sie hier auf Tas getroffen war. Das war nun zu viel für Tas. Er griff an. Mit schnellen Sprüngen näherte er sich der Frau. Doch die war auch weiterhin unbeeindruckt geblieben. Ganz langsam hatte sie ein Pulver aus einem Beutel, den sie an ihrem Gürtel trug, herausgenommen und blies dieses dem heranstürmenden Tas mitten ins Gesicht. Fast augenblicklich hatte Tas die Wirkung des Pulvers gespürt. Ein starkes Brennen in seinen Augen zwang ihn, diese sofort zu schließen, womit er praktisch blind wurde. Auch in seiner Nase und seiner Schnauze spürte Tas nur noch diesen allumfassenden brennenden Schmerz. Es fiel ihm schwer zu atmen. An einen Angriff war natürlich nicht mehr zu denken. Fast panisch hatte er begonnen, mit seiner Pfote die Augen und die Schnauze zu reiben. Er hörte noch, wie die Frau leise „Verzeih mir, König der Jaguare“ flüsterte, dann hatte sie sich umgedreht und war einfach davongegangen.
Es dauerte fast einen halben Tag, bis Tas wieder hatte klar sehen und vor allen Dingen riechen können. Die Wut und die Scham aber waren geblieben. Es konnte einfach nicht sein, dass ihn ein schwacher Mensch so überlistete und auf diese Art demütigte. Wie sollte er nach dieser Niederlage seine Autorität behalten? Bald würde ihm jedes Lebewesen im Regenwald nur noch auf der Nase herumtanzen. Also war Tas auf Rache aus. Diese Schieflage musste er wieder gerade rücken. Die Frau musste sterben. Und Tas würde dafür sorgen, dass sie vorher noch einige Aufregung bekam, sodass ihr Blut besonders gut schmeckte.
Trotzdem hatte es fast zwei Monde gedauert, bis er die Witterung der Frau wieder aufnahm. Plötzlich war sie wieder da. Tief im Urwald. Tief in seinem Revier! Jetzt endlich würde sie sterben müssen!
Tas nahm sofort die Verfolgung auf. Schnell war er der Frau auch näher gekommen, wie er an der Spur unschwer erkennen konnte. Sie musste nur wenige Meter vor ihm sein. Überrascht stellte Tas jedoch fest, dass er die Frau trotz der offensichtlichen Nähe nicht hören konnte. Normalerweise entgeht nichts seinem scharfen Gehör. Erst recht nicht ein schwacher, unbeholfener Mensch. Diese machten, wenn sie sich einmal in den Regenwald getrauten, so viel Lärm, wie ein mittelschweres Gewitter. Nur diese Frau offenbar nicht. Tas blieb unsicher stehen. Wer war diese seltsame Frau?
Langsam und sehr viel vorsichtiger, als bei ihrer ersten Begegnung, näherte sich Tas der Stelle, wo die Frau sein musste. Er konnte sie jetzt so klar und deutlich riechen, dass sie direkt vor ihm stehen musste. Trotzdem konnte er sie noch immer weder hören, noch sehen. Tas ging vorsichtig, jeden Muskel angespannt noch einige wenige Schritte, dann stand die Frau plötzlich vor ihm und hob die Hand. Offensichtlich wollte sie ihm wieder ihr vernichtendes Pulver ins Gesicht blasen. Doch diesmal war Tas schneller und sprang. Er sah die Gestalt der Frau, die sich nicht rührte und immer noch ihre Hand vorstreckte, auf sich zufliegen.
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