Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
neben einer schlafenden Bärin ausgeharrt und dabei das Gewebe ihres eigenen Schweigens kennen gelernt - so wie Cunomar es getan hatte. Auch hatten sie nicht, lediglich mit einem Messer bewaffnet, einen Bären getötet, der dafür bekannt gewesen war, dass er Menschen nur zum Vergnügen riss. Und sie hatten auch nicht im Anschluss daran wiederum weitere drei Tage unter den scharfen, sengend heißen Messern der Stammesältesten gesessen und gelernt, wie der nicht aufhörende, nicht mehr zu ertragende Schmerz die Seele zu öffnen vermochte.
    Vor allem aber hatten sie keine neun Monate Einzelunterricht hinter sich, in denen sie von den zwölf weisesten Köpfen der Kaledonier unterrichtet worden waren; ein solcher Luxus war ihnen im Land der Eceni nicht mehr vergönnt. Aber immerhin hatten sie zwei Monate damit verbracht, tagsüber ein großes Rundhaus nach der Art der Ahnen zu errichten und nachts den Umgang mit den verschiedenen Sorten von Speeren und Schwertern zu erlernen; so wie es auch ihre Eltern einst gelernt hatten und wie es ihnen, als deren Kinder, offiziell und nach römischem Gesetz schon nicht mehr erlaubt gewesen war. Darin lagen nun also ihre Anfänge auf dem Weg des Kriegers.
    Ein dunkelhaariges Mädchen kam auf Cunomar zugestürmt; ihr Zopf löste sich bereits, ihre Bemalung war von Schweiß und Erschöpfung schon ganz verschmiert. Ihre Augen waren weiß umrandet, und ihre Nasenflügel bebten. An ihrem rechten Arm trug sie eine Wunde, oben, nahe der Schulter. Wenn er sich anstrengte, so könnte Cunomar sich vielleicht an den Augenblick erinnern, als er ihr diese Wunde zugefügt hatte, irgendwann, vor langer Zeit, als die Nacht gerade begonnen hatte.
    Doch wenn er darüber nachdächte, könnte sie unter seiner Deckung hindurchtauchen und würde ihn verletzen, was unter gar keinen Umständen passieren durfte. Er verlagerte den Griff um sein Schwert ein wenig und riss es hoch, um den Schlag des Mädchens abzuwehren, dann hieb er nach ihr und wehrte wiederum ihren Angriff ab, holte abermals nach ihr aus und bewegte sich in genau jenem Rhythmus von Hieben und Stößen, den er ihr beigebracht hatte, während er auf jenen Moment wartete, in dem sich die Ruhe über ihren Verstand legen und sie schließlich die Schnelligkeit und Sicherheit gewinnen würde, um aus diesem Rhythmus wieder ausbrechen zu können und endlich einen echten Angriff auf ihn auszuführen.
    Das Mädchen holte erst nach seinem einen Bein aus, dann nach dem anderen, und schließlich, als Cunomar seine Klinge hob, um ihren Stoß zu parieren, packte sie ihre Waffe plötzlich verkehrt herum und schlug mit dem Heft ihres Schwertes auf Cunomars Unterarm. Der Schmerz ließ ihn aufstöhnen, und er sah, wie ein kurzes, befriedigtes Lachen über ihr Gesicht huschte, doch er war bereits zur Seite ausgewichen, benutzte seinen Ellenbogen, um damit ihr Stichblatt niederzudrücken, hieb an ihr vorbei und winkelte dann mit einem Mal blitzschnell das Handgelenk an, so dass die Spitze seiner Klinge in einer langen, feinen Wunde dicht unter ihrem Schlüsselbein entlang und quer über ihren Brustkorb schnitt. Das Mädchen schnappte keuchend nach Luft und sprang einen Schritt rückwärts. Auf ihrem Gesicht erkannte Cunomar die gleiche Mischung aus Schmerz und Jubel, die er auch schon auf einem halben Dutzend anderer Gesichter gesehen hatte. Diese wenigen waren außergewöhnlich; bei dem Rest waren nur Schmerz und Entsetzen und eine etwas leisere Befriedigung zu erkennen gewesen. Sollte sich aus dieser Ehrengarde also jemals eine Elite herausbilden, so bestände sie aus jenem Mädchen hier und der Hand voll von anderen, die ebenfalls wie sie waren.
    Unagh. Ihr Name war Unagh, und sie stammte aus der Gegend um den Wash, jenem nördlichen Küstenstrich, wo einst auch Efnís zu Hause gewesen war. In jenem Augenblick, als Cunomar sein Schwert sinken ließ und sich den Schweiß von den Handflächen abwischte, fiel ihm dies plötzlich wieder ein. Er trat zur Seite und sprach: »Kriegerin der Eceni, du darfst durchtreten.«
    Er dachte, sie wäre die Letzte, war sich allerdings nicht ganz sicher. Müde lehnte er sich gegen den Türpfosten des großen Rundhauses und spürte an seiner Schulter das glatte, frisch abgehobelte Holz. Einst wäre die Errichtung eines solchen Versammlungshauses zehn Jahre im Voraus geplant worden; wären die Eichen, aus denen später das Haus entstehen sollte, markiert und zu einem geraden Wuchs aufgezogen worden; wären die Weidensetzlinge, die

Weitere Kostenlose Bücher