Die Seherin der Kelten
Gruppe der Stammesältesten herum und nahm ihren Platz am anderen Ende des Rundhauses ein. An der der Tür gegenüberliegenden Wand bildete ein Haufen zusammengefalteter Pferdehäute eine Art kleiner Bank. Unmittelbar darüber hing ein bronzener Schild, auf dessen Oberfläche deutlich zu erkennen der Schlangenspeer prangte, so dass die beiden Köpfe des Speers, wenn Breaca stand, direkt aus ihrem Herzen zu erwachsen schienen; und wenn sie saß, bildeten sie eine Art Krone.
Nun aber stand sie. Ardacos war ihr gefolgt und legte ein wenig Holz nach in die am dichtesten bei ihr liegende Feuergrube. Die Scheite fingen Feuer, Flammen züngelten empor, wurden von dem bronzenen Schild eingefangen und durch die Wölbung des Metalls wieder zurückgeworfen, so dass in dem Schild langsam ein zweites Feuer zu entstehen schien und mittendrin das Eisen von Breacas gezogenem Schwert wie ein Stern aufleuchtete.
Die Aufmerksamkeit der Stammesältesten wandte sich nun ihr zu, angezogen von dem Strahlen von Licht und Metall, von der weißen Kalkfarbe auf ihrem Gesicht und auf ihren Armen, von dem Kriegerzopf, den sie hier im Osten erstmals wieder offen trug und in dem die silberne Feder mit dem schwarzen Kiel steckte, Symbol für die unzähligen Feinde, die Breaca bereits im Kampf niedergemetzelt hatte.
Schließlich, als das Meer der von ihr abgewandten Hinterköpfe sich zu einem Meer aus Gesichtern gewandelt hatte, einem Meer von Augen, in denen sich das Feuer widerspiegelte, sprach Breaca nic Graine, die Erstgeborene der königlichen Linie: »Willkommen, Stammesälteste der Eceni. Entgegen Roms Verfügung habt ihr euch hier eingefunden. Es gibt nicht einen unter euch, der nicht sein Leben riskiert hätte, um nun hier zu sein. Und in dem Bewusstsein dieses Risikos seid ihr Zeugen der ersten Speerprüfung geworden, die nach siebzehn Jahren der Unterbrechung wieder im Land der Eceni stattgefunden hat. Siebzehn Jahre. Diejenigen, die heute zu Kriegern ernannt wurden, waren noch nicht einmal geboren, als Roms Legionen ihre Väter und Großmütter abschlachteten, ihre Tanten, Cousins und Cousinen. Wenn wir es zulassen, dass noch weitere zwanzig Jahre verstreichen, werden die Kinder der neu ernannten Krieger in einem Land aufwachsen, in dem die Speerprüfungen bestenfalls noch in der Erinnerung existieren, schlimmstenfalls aber bereits völlig in Vergessenheit geraten sind.«
Sie waren die ihren, hatten ihre Aufmerksamkeit ganz allein auf sie konzentriert. Breaca ließ sie einen Augenblick bei diesem letzten Gedanken verweilen, anschließend gab sie Cunomar ein Zeichen. Dieser ließ daraufhin die neunundvierzig Jugendlichen seiner Ehrengarde sich in einem Halbrund hinter Breaca aufstellen.
Breaca setzte sich wieder. Der bronzene Schild schien rotes Feuer über ihr Haar zu ergießen und ließ die Haut der in ihrer unmittelbaren Nähe stehenden Krieger rötlich aufleuchten. »Heute Nacht wurde aus jenen, die ihr im Sommer zu uns geschickt habt, eine Ehrengarde geboren. Sie sind noch nicht allzu viele. Sobald wir aber zehnmal ihre Anzahl an Kriegern aufgestellt haben, könnten wir die Legionen im Osten wieder in einen Krieg verwickeln...«
Ein gutes Dutzend der Stammesältesten zuckte bei dem Wort »Krieg« zusammen. Und jene, die zwar noch keine Jugendlichen entsandt hatten, wohl aber bereits darüber nachgedacht hatten, saßen mit geradezu versteinerten Gesichtern da. Und doch drängten sie Breaca, fortzufahren.
»... aber dieser Krieg kann nicht beginnen ohne die ausdrückliche Zustimmung des Ältestenrats. So war es schon immer gewesen. Und wenn wir uns einst wieder zum Kampf erheben, um unser Erbe zu bewahren, so müssen auch dabei natürlich die Traditionen berücksichtigt werden. Noch ist der Zeitpunkt ohnehin nicht gekommen. Denn zu viele halten noch immer an Tagos fest, der wiederum angehalten worden ist, uns allein nach den Vorgaben Roms zu regieren. Das Gleichgewicht ist sehr zerbrechlich. Solange er lebt, können wir also nicht öffentlich die Krieger zum Kampf gegen den Erlass Roms aufrufen, und darum...«
»Willst du ihn umbringen?«
Die Frage stammte von einem ihrer energischsten Widersacher: einem Mann mit bereits ergrauendem Haar und kantigen, ausgeprägten Kinnladen, der vom ersten Augenblick an, als die Bodicea von einem möglichen Krieg zu sprechen begonnen hatte, nur noch den Kopf geschüttelt und in stetem Fluss seinem Nachbarn etwas zugeraunt hatte. Er stammte aus der Siedlung, aus der auch Unagh kam, jenes
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