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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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leiseste Ahnung davon haben, dass der Gefangene, der heute Morgen hereingebracht wurde, ausgerechnet jener Mann ist, der von Claudius höchstpersönlich und noch in dem Monat vor seiner Ermordung wieder nach Rom zurückbeordert worden war.
    Aber selbst wenn auch die anderen von deiner Geschichte wissen, so gibt es doch nicht mehr als drei Männer hier in der Provinz, die dich wiedererkennen würden, die wüssten, dass gerade du jener Mann bist, den Nero einen Verräter genannt hat. Und keiner von ihnen lebt hier im Westen. Dein Name steht sicherlich irgendwo in den Aufzeichnungen, aber unser neuer Gouverneur, mögen die Götter auf seine Seele spucken, ist kein Mann, der Zeit und Geld darauf verwendet, durch fünf Jahre alte Unterlagen zu wühlen auf der Suche nach den Halbgeistern aus der Vergangenheit seines Vorgängers.«
    »Vier«, widersprach Valerius. »Es ist erst vier Jahre her.«
    Mit einem heftigen Fußtritt beförderte Longinus ein Holzscheit in das Feuer. Ein wahrer Funkenregen stob auf. Und in dieser Geste lag all die Anspannung, die er aus seiner Stimme herauszuhalten versuchte. »Hast du eigentlich überhaupt irgendetwas von dem verstanden, was ich dir gerade erzählt habe?«
    »Ja. Du hattest Angst vor mir. Und dabei dachte ich, dass von allen Männern gerade du mich besser gekannt hättest.«
    »Bei den Göttern, Mann, einmal hast du mich sogar auspeitschen lassen! Hast du das etwa vergessen?«
    »Ich habe dich auspeitschen lassen?« Valerius hätte nicht gedacht, dass er tatsächlich einen so großen Teil seines Erinnerungsvermögens an den Wein verloren hatte. Dann aber kehrte, ganz unaufgefordert, doch eine erste Ahnung zurück, und nach ihr folgten weitere. Valerius fand, dass das Feuer nun seine ganze Aufmerksamkeit verlangte. Und weil es leichter war, als seinen Erinnerungen nachzuhängen, erwiderte er: »Ich bin mir sicher, du hattest es verdient.«
    Valerius hörte, wie Longinus scharf die Luft einsog, und er wartete auf die wahre Explosion, mit der der Offizier den Atem nun wieder ausstoßen würde. Doch die Explosion blieb aus. Nach einer Weile, als noch immer nichts geschah, hob Valerius den Blick. Ihm gegenüber saß der Mann, der ein halbes Jahrzehnt lang Valerius’ Leben geteilt hatte, sein Bett und sogar Teile seiner Seele, und auf seinem Gesicht zeichneten sich zu gleichen Teilen Frustration und eine verzweifelte, scharfe Ironie ab. »Ich wiederum denke nicht, dass ich es verdient hatte«, entgegnete Longinus schließlich.
    »Willst du mir erzählen, was damals passiert ist?«
    »Nein. Es ist zu lange her, und wenn du dich wirklich nicht daran erinnerst, sollten wir es auch dabei belassen. Alles, was ich jetzt für dich erreichen will, ist, dass du ein Schiff findest, das dich nach Hibernia übersetzt, wo du in Sicherheit bist, damit ich wieder in die Festung zurückkehren und damit fortfahren kann, meinen Platz in den Planungssitzungen des Gouverneurs einzunehmen und in den Strategiesitzungen und den Sitzungen der Quartiermeister und der Waffenmeister und all den anderen gottverdammten Sitzungen, die angeblich alle unverzichtbar sind und in denen selbst der letzte eiserne Bootsnagel und der letzte Zapfen unserer Wurfmaschinen noch verplant werden, damit der Einmarsch des neuen Gouverneurs auf Mona auch wirklich von Erfolg gekrönt sein wird - bis auch der letzte Träumer auf der Insel vernichtet ist. Und der Gouverneur will den Winter über auch nicht nach Camulodunum zurückkehren. Welcher andere Gouverneur, von dem du jemals gehört hast, hat denn schon die heißen Bäder und die Marmorböden in der Kolonie ausgeschlagen, um dafür den Winter in einer Legionsfestung zu verbringen? Er wird angreifen, sobald die Reservetruppen vom Rhein eintreffen, und wenn er erst einmal loslegt, wird er nicht mehr aufhören, bis ganz Mona allein ihm gehört.«
    Longinus hielt Valerius’ Blick die ganze Zeit über fest, während er den unverfrorensten Verrat beging, den sie beide jemals erlebt hatten - Longinus blinzelte noch nicht einmal.
    Am Ende war Valerius tiefer beschämt, als er sich einzugestehen wagte angesichts dieser bernsteingelben Augen und der Fürsorge, die sich in ihnen spiegelte. Er senkte den Blick auf seine Hände hinab. Die Worte schienen über ihn hereinzubrechen, kalt und erbarmungslos wie das Meer im Winter. Und der Gouverneur will den Winter über auch nicht nach Camulodunum zurückkehren. Er wird angreifen... und wenn er erst einmal loslegt, wird er nicht mehr aufhören,

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