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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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sich dann so gewissenhaft auf ihren Wurf vor, als besäßen sie darin eine bereits ihr ganzes Leben währende Erfahrung und hätten nicht bloß zwei Monate lang Nacht für Nacht im Wald geübt. Ihre Speerspitzen fingen das dunkelrot schimmernde Licht der Feuerstellen ein, ließen kleine Sonnen in dem Zwielicht aufblitzen. Das Lied der Speere erfüllte das gesamte Rundhaus. Dann wurde es wieder leiser, als jeder einzelne der Speere versuchte, sich mit der Seele des Kriegers, der ihn hielt, zu vereinen.
    »Bring einfach nur die Stimme deiner Gedanken zum Schweigen«, hatte Breaca gesagt, damals, vor langer Zeit; und Eneit, der auch die tiefere Bedeutung ihrer Anweisung verstanden hatte, hatte erwidert: »Nur?« Doch noch während er über die Unmöglichkeit dieses Unterfangens gelacht hatte, hatte er es bereits vollbracht.
    Die neu ernannten Krieger waren zwar nicht wie Eneit, doch auch sie waren mit ganzem Herzen bei der Sache. Neben ihnen stand Cunomar und wartete darauf, den Befehl zum Werfen zu geben. So wie seine Mutter es einst getan hatte - damals, im Wald, es schien bereits Generationen her zu sein -, als er noch nicht das Lied des Speeres zu erkennen vermocht hatte.
    Jedes Mal, bei jeder weiteren Gruppe, spürte Cunomar erneut die Anspannung und die Nervosität sowie die langsam daraus erwachsende Ruhe, während die jungen Krieger sich darum bemühten, nur auf die Stimme ihres Speeres zu lauschen, und nicht auf die Stimme ihrer Angst oder ihrer Zweifel. Und jedes Mal, wenn Cunomar dachte, dass bereits zu viel Zeit verstrichen sei und sie die nötige Ruhe nicht mehr finden würden, spürte er schließlich doch, wie sie sich auf ihn herabsenkte, und befahl dann leise: »Werft!« Und sie warfen, und ihre Speere durchbohrten die Ziele, genauso, wie er es auch erwartet hatte; mit Ausnahme von vieren, die es jedoch im Frühling noch einmal würden versuchen dürfen. Sie sollten nicht so viel aufs Spiel gesetzt haben, nur um so kurz vor dem Ziel dann doch noch zu scheitern.
    Zum Schluss standen neunundvierzig Kriegerinnen und Krieger der Eceni vor Cunomar, in der Anwesenheit ihrer Stammesältesten, und schworen, so wie auch ihre Vorfahren es schon getan hatten, auf ihre Speere. Sie schworen, ihr Leben für das seine, Cunomars, zu geben; schworen, ihr Leben für das ihres Nächsten zu geben; schworen im Angesicht und unter dem Schutz der Götter, und ihr Schwur sollte Bestand haben bis in alle Ewigkeit.
     
    »Dein Sohn ist er selbst geworden. Die Last der Verantwortung hat vollendet, was die Bärenträumer begonnen haben.«
    »So scheint es zumindest. Noch im Verlaufe des Winters werden wir darüber letzte Gewissheit erlangen.« Breaca lehnte gegen jenen der beiden eichenen Türpfosten, wo das Licht des Feuers sie weniger hell anstrahlte. Im Augenblick war es erst einmal wichtig, dass Cunomar gerade die Aufmerksamkeit der neuen Krieger und ihrer Stammesältesten auf sich vereint hatte und dass seine Mutter sich derweil in die Schatten zurückzog.
    Ardacos hatte sich neben ihr auf den Boden gehockt und war damit beschäftigt, den Beschlag seines Speers zu reparieren. Ihrer beider Stimmen verloren sich in dem langsam lauter werdenden Gemurmel aus den Reihen der Stammesältesten, die sich in dem nach Norden zu liegenden Bereich des Großen Versammlungshauses entlang der Feuerstellen niedergelassen hatten. In der anderen Hälfte des Hauses erhob sich unterdessen auch die Letzte unter den neu ernannten Kriegern. Doch plötzlich riss sie ihren Speer hoch - ganz entgegen der feierlichen Ruhe ihrer Kampfgefährten -, ließ ihn wild über ihrem Kopf kreisen und stieß dabei den alten Schlachtruf der Eceni aus. Nach einem Augenblick des entsetzten Schweigens taten ihre Gefährten es ihr gleich, und von dem Strohund Reetdach hallte das schrille, ohrenbetäubende Kampfgeheul zurück.
    Ardacos wandte sich zu Breaca um. »Sie ist wie Braint. Sie kämpft wie eine Wildkatze. Sollte sie ihre erste Schlacht überleben, wird sie eine recht brauchbare Kriegerin werden.«
    »Genau darum sollten wir sie allesamt und möglichst bald in ihre erste Schlacht schicken. Und trotzdem dürfen wir es noch nicht wagen.« Breaca stieß sich von dem Türpfosten ab. Jedermanns Aufmerksamkeit konzentrierte sich nun allein auf die johlenden Jugendlichen und auf Cunomar, der mit ernster Miene vorgetreten war, um sie wieder etwas zu beruhigen. In der Zeit, die verstrich, bis sich erneut Stille über die Versammlung gesenkt hatte, schritt Breaca um die

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