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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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wieder erhoben hatte, war der König längst
getroffen. Er lag da und starrte mich an, als er starb. Ich wankte weiter, mitten
hinein ins Kampfgeschehen, suchte ebenfalls den Tod. Doch mich ereilte kein
Degenhieb, keine Kugel. Ich überlebte. Gerüchte kamen auf. Dass ich mich bei
Gustav Adolf befunden hatte, aber zu feige war, ihm zu helfen. Freunde
verteidigten mich, ich erklärte, ich wisse gar nicht, was Feigheit bedeute.
Dann hieß es, wenn dem so sei, könne ich nur ein Verräter sein, der für den Tod
des Königs ein Blutgeld genommen hätte. Es sollte zu einem Prozess gegen mich
kommen.«
    »Und
da bist du geflüchtet?«
    Das
Starre in seinen Augen verflüchtigte sich. »Geflüchtet, desertiert, abgehauen.
Es gibt so viele Begriffe dafür. Auf jeden Fall war das nach meinem Versagen in
der Schlacht die zweite Tat, für die ich mich in Grund und Boden schämte. Hätte
ich wenigstens genügend Courage gehabt, um diesen Kampf anzutreten: alles
aufzuklären und dann die Konsequenzen für mein jämmerliches Verhalten
anzunehmen. Auch wenn es den Tod bedeutet hätte.«
    »Dieser Tag hat deine
Karriere zerstört«, meinte Bernina, trat einen Schritt auf ihn zu und berührte
kurz seinen Arm. »Aber nicht dein Leben.«
    »Mir allerdings kam es
so vor. Wie das Ende meines Lebens. Die Armee war meine Heimat – und seither
suche ich wohl eine neue.« Er betrachtete den Schnee zu seinen Füßen. »Eine
verrückte Zeitlang dachte ich sogar, du könntest diese Heimat sein, Bernina.
Aber jetzt … Ich weiß auch nicht. Doch ich glaube, es ist das Beste, wenn ich
einfach weiterziehe.«
    Sie sah ihn an, aber ihr
Mund war trocken, kein Wort drang über ihre Lippen.
    »Ich bringe dich zum Petersthal-Hof,
dann jedoch ist alles vorbei. Dort werde ich zum letzten Mal in deine
wunderschönen Augen blicken, und schließlich werde ich aufbrechen.« Nils Norby
lächelte, aber es gelang ihm nicht, seine Niedergeschlagenheit zu verbergen.
    Die ganze Nacht über
hörte Bernina noch den Klang seiner Stimme. Die Atmosphäre des Abschieds
beherrschte sie, bis sie sich endlich dem Schlaf ergab. Und selbst dann schien
der Schwede weiterhin irgendwie bei ihr zu sein.
    Am
nächsten Morgen fielen nicht viele Worte zwischen ihr und Nils Norby. Ihre
Blicke trafen nur selten aufeinander. Nachdem sie aufgebrochen waren, ritt
Norby meist voraus, obwohl die Route nun keine Fragen mehr aufwarf. Das Ziel
hieß Petersthal-Hof, und innerlich stellte sich Bernina allmählich auf den Anblick
vernichteter Gebäude ein. Der Himmel ließ keinen neuen Schnee auf sie fallen,
und Kilometer für Kilometer zogen sich die Wagenspuren über den weißen
Untergrund. Der Mittag kam und ging, der frühe Nachmittag brach an, und
vertraute Gipfel kamen in Sicht. Noch ein Stück weiter südlich lag Teichdorf.
Doch bevor sie einen Blick auf die Kirchturmspitze werfen konnten, schwenkten
sie in nördlicher Richtung ab, vorbei an einem Waldstück, in dem Bernina seit
ihrer Kindheit jeden Baum kannte, bis sich die wellige Landschaft plötzlich
zerklüftete und sich ein schmales Tal öffnete.
    Die
Dunkelheit senkte sich herab, allerdings behäbig, als wolle sie Rücksicht
nehmen und Bernina noch einen Blick bei Helligkeit auf den Hof gönnen. Oder auf
das, was davon übrig sein mochte.
    Norby
ritt sein Pferd in Schrittgeschwindigkeit, nahe beim Wagen, als sie die letzte
Kurve nahmen. Der Schnee schluckte den Hufschlag, und die Räder glitten mühelos
über die Erde. Und was sie erwartete, war eine Überraschung. Der
Petersthal-Hof. Da lag er vor ihnen, mit seinen Gebäuden, in all seiner
Friedlichkeit. Doch nichts war zerstört, nicht das Haupthaus, nicht die Ställe.
Vielleicht war es ja die Abgeschiedenheit, die selbst in gewaltvollsten Tagen
eine schützende Hand über die Dächer gehalten hatte. Die Fenster waren dunkel,
doch jede einzelne Scheibe war unversehrt.
    Erst
jetzt wechselten Bernina und Norby einen langen Blick. Und sie hörte, wie auch
Baldus neben ihr auf dem Bock voller Erleichterung durchatmete. Keiner von
ihnen hatte es zu hoffen gewagt – doch nach vielen Entbehrungen und
Rückschlägen schien dieser Tag endlich einmal glücklich zu enden.
    Bernina
riss kurz an den Zügeln, und die Pferde kamen zum Stehen. »Ich kann es nicht
glauben«, sagte sie so leise, dass nur sie es hören konnte. Genau in dem
Moment, als ihr Mund sich zu einem Lächeln verzog, setzte Musik ein. Berninas
Gesicht gefror.
    Eine Melodie setzte sich
Ton für Ton zusammen und schlängelte

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