Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
glauben, dass keiner der beiden Geschwister ihn auch nur schief angesehen hatte. Und Gabrielle war sehr großzügig gewesen mit ihren Abschiedsworten. »Es geht ihnen gut. Gary hat sie zu unserem Prinzen mitgenommen. Sie sind jetzt bei Mikhail und seiner Seelengefährtin und stehen unter deren Schutz. Ich mag deinen Bruder und deine Schwester sehr.«
Joie bedeckte die Hand, die auf ihrem Magen lag, mit ihrer. »Du klingst ein bisschen überrascht. Gab es noch nicht viele Menschen, die du mochtest?«
»Ich habe noch nie wirklich darüber nachgedacht. Wir bevölkern dieselbe Welt wie die Menschen und beschützen sie, doch um der Sicherheit unserer Spezies willen haben wir uns immer abgesondert. Die jüngsten Geschehnisse waren mein erster enger Kontakt zu Menschen, die wirklich wussten, wer und was ich bin, und ich war erstaunt, wie aufgeschlossen und tolerant deine Geschwister mir und meinem Volk gegenüber sind. Und das trotz all der Gefahren, die ich mit mir brachte. Ich empfinde aufrichtige Zuneigung und Bewunderung für Jubal und Gabrielle, was in gewisser Hinsicht ebenfalls eine Überraschung für mich ist.«
»Und Gary? Ist er in Ordnung?«
»Mehr als das, Joie. Er ist ein außergewöhnlicher Mann und genießt offenbar das vollste Vertrauen unseres Prinzen.« Traian strich mit der Fingerspitze über ihre Nase und zeichnete die Konturen ihres Mundes nach.
Joie lächelte und biss ihn spielerisch in die Hand. Er berührte sie andauernd, als suchte er Bestätigung im körperlichen Kontakt.
»Ich kann dir auch nur raten, eine starke Zuneigung zu meinem Bruder und meiner Schwester zu entwickeln«, warnte sie ihn mit einem leisen Lächeln. »Sonst hast du keine Chance bei den beiden. Und bei meinen Eltern auch nicht, sollte ich vielleicht hinzufügen. Sie werden dich wahnsinnig machen, deshalb musst du sie lieben, weil du sie sonst nämlich umbringen würdest. Ich kann es kaum erwarten, dass du meine Eltern kennenlernst.« Allein schon der Gedanke brachte sie zum Lachen.
»Was soll das?«, fragte Traian argwöhnisch. »Warum hat dein Lachen immer so etwas Süffisantes, wenn du davon sprichst, mich deiner Mutter und deinem Vater vorzustellen?«
»Mach dir keine Sorgen, ich werde dich vor ihnen beschützen. Jubal, Gabrielle und ich fahren immer zusammen heim zu Mom und Dad. Wenn wir uns verbünden, haben wir eine Chance gegen sie.«
»Ich bin Karpatianer«, erinnerte er sie.
»Ha! Als würde das einen Unterschied machen. Aber bilde dir das ruhig weiterhin ein.« Ihre Hand glitt zu ihrem Nacken, der noch immer aufgescheuert und wund war von dem Angriff. »Wieso bin ich eigentlich nicht schön und perfekt wieder aufgewacht?«, fragte sie mit einem vorwurfsvollen Blick zu ihm. »Ich hatte Visionen von einer gründlichen Verschönerung.«
»Du bist schön und perfekt.« Er klang verdutzt. »Ich habe dich früh geweckt, um dir mehr Blut zu geben, aber du wirst wieder in die heilende Erde gehen, bis du völlig wiederhergestellt bist.« Er tippte sich an die Brust. »Bis wir beide es sind.«
Joie wandte den Kopf, um ihn besser ansehen zu können, und ihr verschlug es den Atem. »Oh, Traian, zeig mir das mal!« Obwohl er versuchte, sie zurückzuhalten, richtete sie sich auf die Knie auf. »Du bist ja richtig schwer verletzt!«
Ihre Augen verdunkelten sich vor Furcht und Sorge, als ihre Hände mit sanften, aber nervösen Bewegungen seine Brust abtasteten. Traian hielt den Atem an, schockiert über die Flutwelle von Emotionen, die ihn jäh durchströmte. »Es ist nichts Ernstes.«
»Es ist sogar etwas sehr Ernstes«, protestierte sie. »Wie funktioniert das mit dem Heilen? Kann ich es auch bei dir versuchen? Würde es helfen?«
Er lächelte Joie an und schloss sie wieder in die Arme. »Du bist jetzt eine Karpatianerin. Was immer ich vermag, kannst du auch. Wahrscheinlich sogar noch besser; doch wenn du es wirklich versuchen willst, sollten wir uns erst mal säubern.«
»Aber nicht auf deine Weise. Ich liebe das Gefühl von Wasser auf meiner Haut. Ist diese Quelle da drüben zu heiß, um darin zu baden?« Joie zeigte auf den Teich, und obwohl er sich nicht in ihrer Sichtweite befand, wusste sie anhand der Bilder in Traians Kopf doch ganz genau, wo der Teich lag.
»Wenn du darin baden willst, sivamet , baden wir darin.« Und damit schloss er sie auch schon fester in die Arme und schwebte mit ihr an die Oberfläche. »Wir müssen zwar während der Tagesstunden schlafen, doch im Grunde ist es so, dass nur wenige von
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