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Die Sehnsucht der Pianistin

Die Sehnsucht der Pianistin

Titel: Die Sehnsucht der Pianistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Nachtigall Nora Roberts
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erwachsen war, war ihr Tagesablauf immer minutiös geplant worden. Alles war sorgfältig überlegt und organisiert gewesen. Obwohl von Natur aus eher impulsiv, hatte sie lernen müssen, wie wichtig Ordnung im Leben war. Herzukommen, alte Wunden wieder aufzureißen und Erinnerungen aufzufrischen, gehörte nicht zu dieser Ordnung.
    Aber wenn sie jetzt fortlief, würde sie nie Antworten auf ihre Fragen bekommen. Vanessa gab sich einen Ruck, stieg aus dem Wagen und holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Wenn es ihr nicht gefiel, brauchte sie ja nicht zu bleiben. Sie war ein freier Mensch. Sie war eine erwachsene, weit gereiste und finanziell abgesicherte Frau. Ihr Zuhause konnte sie sich aussuchen, wo immer es ihr passte. Seitdem ihr Vater vor sechs Monaten gestorben war, hatte sie keine Wurzeln mehr.
    Dennoch war sie hierher gekommen. Und hier musste sie sein – zumindest bis sie die Antworten auf ihre Fragen gefunden hatte.
    Vanessa überquerte den Bürgersteig und ging die fünf Steinstufen zum Haus hinauf. Sie hielt sich bewusst gerade, obwohl ihr Herz wie ein Schmiedehammer klopfte. Ihr Vater hatte nie zugelassen, dass sie die Schultern hängen ließ. Ihre äußere Erscheinung war genauso wichtig wie ihr Vortrag. Mit erhobenem Kinn und gestrafften Schultern ging sie direkt auf das Haus zu.
    Als die Haustür sich öffnete und ihre Mutter auf die Veranda heraustrat, blieb Vanessa wie angewurzelt stehen.
    Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf. Sie sah sich selbst an ihrem ersten Schultag, als sie stolz die Treppe hinaufgelaufen war und ihre Mutter dort an der Tür hatte stehen sehen. Sie sah sich schluchzend auf das Haus zuhinken, als sie von ihrem Fahrrad gefallen war und ihre Mutter die Schrammen säuberte und den Schmerz wegküsste. Sie sah sich wie auf Wolken über den Weg schweben, als sie ihren ersten Kuss bekommen hatte, und das wissende Lächeln in den Augen ihrer Mutter, die jedoch keine Fragen gestellt hatte, obwohl es ihr sichtlich schwergefallen war.
    Und dann dieses allerletzte Mal. Damals allerdings war sie nicht gekommen, sondern gegangen, und ihre Mutter hatte auch nicht winkend auf der Veranda gestanden.
    „Vanessa!“
    Loretta Saxton stand in der Tür und flocht nervös die Finger ineinander. In ihrem dunkelbraunen Haar zeigten sich noch keine grauen Strähnen. Es war kürzer, als Vanessa es in Erinnerung hatte, und umrahmte ein noch fast faltenloses Gesicht. Es war etwas runder und auch weicher als damals. Trotzdem wirkte sie irgendwie kleiner. Nicht eingeschrumpft, aber irgendwie kompakter, lebendiger, jünger. Einen Augenblick musste Vanessa an ihren Vater denken. Er war mager gewesen, zu mager, blass und alt.
    Loretta wollte ihrer Tochter entgegenlaufen, aber sie konnte es nicht. Die junge Frau, die dort auf dem Gartenweg stand, war nicht das Mädchen, das sie verloren und nach dem sie sich so gesehnt hatte. Sie sieht mir ähnlich, dachte Loretta und kämpfte mit den Tränen. Stärker, selbstsicherer, aber trotzdem ist sie mir ähnlich.
    Vanessa wappnete sich, wie sie es so oft vor einem Auftritt hatte tun müssen, und ging weiter auf das Haus zu, die knarrenden Holzstufen hinauf, bis sie vor ihrer Mutter stand. Sie waren fast gleich groß, und das überraschte sie beide. Ihre Augen hatten das gleiche überschattete Grün, ihre Blicke tauchten ineinander.
    Sie standen dicht voreinander, aber es gab keine Umarmung. „Ich freue mich, dass ich kommen durfte“, sagte Vanessa steif und hasste sich selbst dafür.
    Loretta räusperte sich. „Du bist hier immer willkommen“, sagte sie mühsam beherrscht. „Das mit deinem Vater tut mir leid.“
    „Danke. Du siehst gut aus.“
    „Ich …“ Was sollte sie sagen? Was in aller Welt konnte sie sagen, um zwölf verlorene Jahre zu überbrücken? „Herrschte dichter Verkehr unterwegs?“
    „Nein, nicht nachdem ich aus Washington heraus war. Es war eine angenehme Fahrt.“
    „Trotzdem wirst du müde sein. Komm herein und setz dich.“
    Sie hat die Einrichtung verändert, dachte Vanessa, als sie ihrer Mutter ins Haus folgte. Die Zimmer wirkten heller und luftiger. Das beeindruckende Haus, an das sie sich erinnerte, war gemütlich geworden. Dunkle, unpersönliche Farben waren warmen Pastelltönen gewichen. Auf dem hellen Kiefernboden lagen farbige Webteppiche. Vanessa entdeckte liebevoll restaurierte Antiquitäten, und überall duftete es nach frischen Blumen. Es war eindeutig das Heim einer Frau, einer Frau von Geschmack und Format.
    „Vielleicht

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