Die Söhne der Wölfin
und folgte ihm.
Wie Faustulus erwartet hatte, kamen sie nur sehr langsam vorwärts, und seine Vermutung, daß die vor sich hin brütende Nichte des Königs nicht die geringste Ahnung davon hatte, wie man Vieh trieb, bestätigte sich. Schließlich meinte er ärgerlich, wenn sie nicht auch etwas auf die Tiere achtgäbe, werde er sie »Stulta« nennen, was in seiner Sprache Dummkopf bedeute, denn ohne die Tiere wären sie nichts als Bettler.
Sie wirkte aufrichtig verblüfft, als sie zurückfragte: »Und was, glaubst du, sind wir jetzt?«
Das machte ihm einmal mehr klar, wie sehr sich die Welt, aus der sie kam, von der seinen unterschied. Immerhin hatte sein Vorwurf sie aus ihrer Grübelei gerissen. Von Zeit zu Zeit ertappte er sie dabei, wie sie ihm einen prüfenden Blick zuwarf.
Endlich sagte sie: »Wenn du den Auftrag hast, mich umzubringen, sobald wir weit genug von der Stadt entfernt sind, dann tu es gleich.«
Das entsetzte Faustulus genug, um ihn auf der Stelle innehalten zu lassen. »Das habe ich nicht!« erklärte er bestürzt. »So etwas würde ich nie tun.«
All seine alten Vorbehalte gegenüber den Tusci, die während der zwei Jahre in ihrer Mitte eingeschlafen waren, flackerten wieder auf. Eine schwangere Frau zu töten war der schlimmste Verstoß gegen alle Gesetze von Göttern und Natur, der sich denken ließ, und nur Dämonenanbeter brachten dergleichen fertig.
Das Mädchen neigte den Kopf leicht zur Seite, runzelte die Stirn und meinte nachdenklich: »Wenn dem so ist, dann tut es mir leid, daß ich dich gefragt habe. Aber ich kenne dich nicht, und ich vertraue niemandem mehr.«
Das blieben für Stunden ihre letzten Worte, und auch er fühlte sich nicht mehr zum Sprechen aufgelegt. Sie verwirrte ihn. Sie tat ihm leid, sie machte ihm angst, und er begann zu ahnen, daß er sich mehr eingehandelt hatte, als gut für ihn war.
Als sie gegen Mittag immer weiter zurückblieb, fand er eine Stelle etwas abseits der Weges, wo sie rasten konnten. Er erinnerte sich dunkel, daß es in der Nähe einen Bach gab, suchte eine Weile und fand ihn schließlich, nicht zuletzt dank der Ferkel. Wegen der Hitze gab es nur noch ein Rinnsal, aber das genügte den Ferkeln, um sich mit Begeisterung darin zu suhlen. Das Mädchen ging etwas weiter bachaufwärts, um zu trinken, dann band sie mit sichtlicher Erleichterung ihre Sandalen los und ließ die Füße in das Naß sinken. Während er sie beobachtete, fiel von dem Lorbeerbaum, unter den sie sich gesetzt hatte, ein Blatt herab und verfing sich in ihren braunen Locken. Faustulus lächelte und beschloß, sie Larentia zu nennen. Dann holte er einen Eimer aus dem Karren und machte sich daran, eine der Kühe zu melken.
Als er mit dem Eimer zu ihr kam, stand in den Augen des Mädchens erstmals weder Mißtrauen noch Abneigung, sondern nur Hunger. Sie dankte ihm und trank so gierig von der Milch, daß er sich unwillkürlich fragte, wann sie zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Danach saßen sie eine Weile friedlich nebeneinander, und er nannte ihr ihren neuen Namen. Sie wirkte weder erfreut noch gekränkt, aber immerhin fragte sie nach dem seinem und wollte wissen, wie lange er in Alba gelebt hatte. Ihr vorsichtiger Versuch, eine Unterhaltung zu führen, ging so lange gut, bis er sie fragte, wer der Vater des Kindes sei. Er meinte dies nicht als Vorwurf, doch er wollte wissen, wessen Kind er aufziehen würde und warum der Mann sie nicht selbst zum Weib genommen hatte. Es war ein Fehler. Mit einemmal zog sie sich in ihre eisige Erstarrung zurück.
»Es war ein Gott«, sagte sie kalt.
Nun hatte Faustulus in seiner Kindheit zwar durchaus Geschichten von Kindern der Götter mit Menschenfrauen gehört. Er kannte auch die Erzählung vom Fürsten Tarchetius, in dessen Haus urplötzlich ein männliches Glied aus dem Herd gewachsen war, woraufhin ihm geweissagt wurde, die Jungfrau, die sich von diesem Glied begatten lasse, werde einen Helden gebären. Sein Großvater hatte geschworen, der Dienerin des Tarchetius, die von diesem Phallos ein Kind bekommen hatte, persönlich begegnet zu sein. Dennoch, diese Legenden mit dem staubigen, erschöpften Mädchen in Verbindung zu bringen, das neben ihm saß, war ihm einfach unmöglich. Er erwiderte nichts, doch sie merkte ihm offenbar seine Ungläubigkeit trotzdem an.
»Was versteht ein Barbar wie du schon von den Göttern und ihren Plänen für uns!« stieß sie hervor und stand auf.
Für den Rest des Tages sprach sie nicht mehr mit ihm. Da
Weitere Kostenlose Bücher