Die Söhne der Wölfin
noch hinzugefügt: »Wie ein Acker, der schon Früchte getragen hat.« Aber so vertraut mit dem Herrscher der Stadt zu reden brachte er nicht fertig. Er dachte nach, entschied, daß Offenheit am besten wäre, und fragte schließlich: »Warum ich?«
Die Augenbrauen des Königs hoben sich. »Weil du ein treuer Diener und ein ehrlicher Kerl bist, jedenfalls seit ich dir den Viehdiebstahl abgewöhnt habe«, antwortete er schmunzelnd. Faustulus dankte ihm und wußte damit auch nicht mehr als vorher.
Am Abend wanderte er mit ein paar Kameraden durch die Stadt, um seinen Abschied zu feiern. Durch das Geschwätz der Leute entdeckte er, was ihm der König nicht erzählt hatte, und begriff. Das schwangere Mädchen war eine der Tusci-Priesterinnen, obendrein die Nichte des Königs, und sie hatte zuerst behauptet, ihr Kind sei von einem Gott gezeugt worden. Kein Mann der Tusci würde sie danach auch nur mit dem kleinen Finger anfassen. Wenn sie die Wahrheit sprach, dann war es Gotteslästerung, wenn sie log, dann war sie verflucht wegen ihres Eidbruchs, und in jedem Fall bedeutete der Bankert einer Priesterin, Enkel eines Königs, der sich dem Gebot der Götter verweigert hatte, nichts als Ärger.
Faustulus wußte nicht, was er von all dem zu halten hatte.
Das Mädchen sollte ihm erst am Ende der Woche übergeben werden, doch er beschloß, sie sich schon vorher anzuschauen. Die Leute sprachen über nichts anderes mehr, und so hörte er, daß sie morgen, wenn die Sonne am höchsten stand, öffentlich ihres Amtes und ihres Namens entkleidet und danach aus der Stadt verbannt werden würde.
»Wenn ihr mich fragt«, meinte der Wirt der Schenke, in der Faustulus und seine Kameraden am liebsten einkehrten, »hat der König das eingefädelt. Sie hätte Hohepriesterin werden können, sie war doch ständig an der Seite der Edlen Fasti. Jetzt braucht er sich keine Sorgen mehr zu machen, daß irgendwann eine rachsüchtige Nichte für die Göttin spricht.« Er schenkte sich selbst noch etwas ein und fuhr fort: »Bestimmt hat einer von seinen Handlangern sie verführt. Es muß ein Mann des Königs gewesen sein, denn wie hätte er sonst so schnell den Vater finden können? Ihr glaubt doch nicht, daß der sich freiwillig gemeldet hat.«
»Gewiß nicht«, fiel Sico ein und lächelte boshaft. Faustulus hatte nichts von dem schwangeren Mädchen erzählt, nur von dem Vieh, das ihm der König zum Abschied versprochen hatte, doch Sico hatte offenbar die richtige Schlußfolgerung gezogen. »So etwas würde nur ein ausgemachter Trottel tun.«
»Ein Verbrecher, meinst du wohl«, protestierte ein anderer Kamerad schaudernd. »Eine Priesterin schänden - so etwas bringt doch Unglück über Generationen hin. Das würde ich nicht mal tun, wenn sie mir die ganze Stadt dafür hinterherwürfen.«
Faustulus waren die Götter der Tusci zwar unheimlich, aber er hatte seine eigenen Götter, die ihn beschützen würden. Seine Götter gehörten zum Land und waren daher älter als die der Tusci; er erinnerte sich vage, daß ihm sein Großvater erzählt hatte, die Tusci seien nicht immer hier gewesen, sondern erst vor langer Zeit gekommen, von jenseits des Meeres wie die Griechen und die Phönizier, mit denen sie Handel trieben. Also vertraute er auf seine Götter. Dies war gewiß seine letzte Gelegenheit, um zu seinem alten Leben zurückzukehren. Nur wünschte er sich Gewißheit, daß er sich keine Hexe ins Haus holte.
Bis auf die Jahresnagelung hatte Faustulus noch nie einer Tusci-Zeremonie beigewohnt, also wußte er nicht, ob die der Verdammung seiner zukünftigen Frau etwas Ungewöhnliches war. Ihm fiel auf, daß die Priesterschaft statt der roten Festtagsgewänder von der Jahresnagelung diesmal weiße Tebennas trug. Sogar ihre Kopfbedeckungen waren weiß. Aber bei dem Reichtum der Tusci mochte es wohl sein, daß ihre Priester für jeden Anlaß anders angezogen waren. Es gab keine Musik wie bei der Jahresnagelung, niemand spielte Flöte oder schlug die Crotali. Doch die Weißgewandeten schritten in der gleichen Anordnung aus dem Tempel heraus auf den Vorplatz, wo sich wohl die halbe Stadt versammelt hatte - drei voran, gefolgt von den anderen sieben. Die Priester der übrigen Schutzgötter der Stadt erschienen in genau der gleichen Ordnung, erst drei, dann sieben.
Es fiel Faustulus nicht schwer herauszufinden, welche die Nichte des Königs war. Sie trug als einzige keine Mitra und stand in der Mitte der sieben aus dem Turan-Tempel. Die drei Frauen an
Weitere Kostenlose Bücher