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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nicht leicht, sie allein auf den Scheiterhaufen zu legen, doch er hatte sich jede Gesellschaft verbeten und alle fortgeschickt. Man gehorchte ihm. Von nun würde ihm jeder gehorchen, immer, nicht wie einem Menschen, sondern wie einem Gott, der jede menschliche Grenze überschritten hatte.
    Als sich das Licht einer Fackel näherte, nahm er an, daß es sich um Celer handelte, den er beauftragt hatte, ihm bei Sonnenuntergang einen brennenden Kien des Lagerfeuers zu bringen. Doch sehr bald machte er drei Gestalten aus, nicht eine, und zwei davon waren eindeutig weiblich. In dem Licht der Dämmerung erkannte er die kleine, üppige Antho, die sich auf Ulsna stützte. Oder stützte er sich auf sie? Unter anderen Umständen hätte es ihn zum Lachen gereizt. Die dritte Gestalt, die die Fackel trug, ging etwas hinter den anderen. Er hatte nicht geglaubt, sie noch einmal wiederzusehen, doch er hätte wissen müssen, daß es noch nicht vorbei war. Für dieses eine Ereignis mußte sie noch Zeugnis ablegen.
    »Sprich kein Wort zu mir«, sagte Ulsna, als er in Hörweite kam. »Wir sind euch gefolgt, in einigem Abstand, weil sie es so wollte. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«
    Er trat mit Antho vor den Scheiterhaufen und betrachtete den Leichnam kopfschüttelnd und mit tiefer Trauer. »Möge die Reise dir leicht werden«, murmelte er. »Heil dir, Remus, und leb wohl.«
    Antho legte dem Toten etwas auf die Brust, das wie eine Locke ihres Haares aussah, blieb jedoch stumm. Beide wandten Romulus den Rücken zu. Er schaute zu der Fackelträgerin, die im Gegensatz zu den anderen nicht sofort zum Scheiterhaufen ging, sondern zu ihm. Was er zu hören erwartete, wußte er nicht genau; eine Beschuldigung, eine Anklage, wie sie Pleistinus vorgebracht hatte, nur viel treffender formuliert, mit Worten, wie nur sie sie zu schmieden verstand. Die hereinbrechende Dunkelheit, die sich mit dem unregelmäßigen Schein ihrer Fackel vermengte, schuf sie neu, ein Geschöpf aus Licht und Schatten, das für immer unerreichbar bleiben würde. Wie hatte er nur je glauben können, sie zerstört zu haben?
    »Mein Sohn«, sagte sie mit erstickter Stimme, und sie sprach nicht zu dem Toten, sondern zu ihm. »Mein Sohn, verzeih mir.«
    »Ich kann nicht«, erwiderte er, doch er nahm ihre freie Hand, führte sie an seine Lippen und weinte. Nicht stoßweise wie in Alba, sondern lautlos; außer ihr bemerkte es niemand.
    Sie traten gemeinsam vor den Scheiterhaufen. Ilian übergab Romulus ihre Fackel und zog etwas aus dem Inneren ihres Umhangs hervor, das weiß in der Dämmerung schimmerte. Von den Anwesenden erkannte es nur Ulsna. Es stammte aus Ägypten und war so erlesen und selten wie Purpur: ein Alabasterfläschchen, zusammengeschmolzen, auf daß keine Spur des köstlichen Duftes verloren gehe, gefüllt mit dem Salböl der Könige. Sie zerbrach es auf der Stirn ihres toten Sohnes.
    »Das einzige, was ich dir noch geben kann«, sagte sie leise, »und das Schlimmste. Du warst glücklich ohne mich. Ich hätte nie von jenseits des Meeres zurückkehren sollen.«
    Ulsna drängte alles zurück, was ihm auf der Zunge lang, und stimmte das Lied für die Totenklage an, das erste Lied, das Ilian ihn je hatte singen hören.
    » Weit bin ich vom dem Land, dem Land, wo die Töchter Turans mir lachten; meine Heimat, ich hab sie nicht mehr. Weit bin ich von den Freunden, den Freunden, die mein Leben mir schützten; meine Freunde, ich hab sie nicht mehr. Weit bin ich von dem Kind, das in den Armen mir lachte; mein Kind, mein Kind, ich hab es nicht mehr.«
    Während er seine Stimme erhob, fragte er sich, ob Romulus, der nun die Fackel an den Scheiterhaufen legte, je begreifen würde, wie unnötig diese letzte Wahnsinnstat gewesen war, wie unnötig die Eifersucht auf seinen Bruder. Was auch immer Ilian für ihn in ihrem Herzen trug, es ging tiefer und war stärker, als ihre Zuneigung zu dem armen Remus je gewesen war. Sie hatte sich um Remus Sorgen gemacht, doch es war Romulus gewesen, dessentwegen sie darauf bestanden hatte, heimlich dem Troß zu folgen, zerstört und bar jeder Hoffnung, wie er sie zurückgelassen hatte. Sie in den letzten Tagen zu erleben, zu beobachten, wie von all der Zielstrebigkeit, die sie immer angetrieben hatte, nur noch der Wunsch übriggeblieben war, dem verfluchten Jungen noch einmal die Möglichkeit zu geben, sie zu zerfleischen, das war fürchterlich gewesen.
    Dabei brachte es Ulsna nicht mehr fertig, Romulus zu hassen. In gewissem Sinn hatte sie

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