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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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Frühe die Unterkünfte, wurden in Unterrichtsräumen über Sozialstruktur und Demographie der namenlosen Städte aufgeklärt, um die wir kämpfen sollten. Wenn wir abends die Unterrichtsräume verließen, war die Sonne wie aus Versehen schon untergegangen, irgendwo im Westen, jenseits des Stacheldrahtzauns der Basis.
    Während unserer letzten Woche in New Jersey besuchte uns Sterling auf der Stube. Wir packten gerade alles weg, was wir nicht brauchen würden. Man hatte uns mitgeteilt, dass wir bald Ausgang bekommen würden und vor der Verlegung des Bataillons noch einmal Familienbesuch haben durften. Wir hatten nur noch ein letztes Training auf der Schießbahn, das auf einen von Sterling in die Befehlskette eingespeisten Vorschlag zurückging. Als wir uns bei seinem Eintreten halbherzig zu einer Habt-acht-Stellung aufrafften, winkte er ab.
    »Nehmt Platz, Jungs«, sagte er.
    Murph und ich setzten uns auf mein Bett. Sterling ließ sich uns gegenüber nieder und rieb sich die Schläfen.
    »Wie alt sind Sie?«
    »Achtzehn«, antwortete Murph wie aus der Pistole geschossen. »Ich hatte letzte Woche Geburtstag«, fügte er lächelnd hinzu.
    Es überraschte mich, dass er mir nichts davon erzählt hatte, und dass er so jung war, überraschte mich auch. Ich war damals einundzwanzig, und wie jung man mit achtzehn ist, wurde mir erst bewusst, als er die Zahl aussprach. Ich musterte Murph, wie er neben mir auf dem Bett saß. Bis auf einen Pickel auf dem Kinn war seine Haut makellos. Mir fiel auf, dass er sich offenbar noch nie rasiert hatte. Der Flaum, der unter seinen Ohren auf den Wangenknochen spross, schimmerte weiß im Licht der Deckenleuchten. Ich hörte mich sagen: »Einundzwanzig.« Bei der Erinnerung daran kann ich spüren, wie jung ich damals war. Ich weiß, wie sich mein Körper vor den Verbrennungen anfühlte. Wenn ich an meine Wange fasse, kehrt die Erinnerung an die unversehrte Haut unterhalb meines Auges zurück, die später, nachdem sie verheilt war, wie das Miniaturbild eines Wadis aussah. »Einundzwanzig«, hatte ich gesagt, und diese Zahl hatte mich mit Stolz erfüllt. Wenn ich jetzt, mit fast dreißig, zurückblicke, erkenne ich allerdings, wer ich wirklich war: kein Mann, sondern noch ein halber Junge. Ich trug zwar Leben in mir, aber es glich dem letzten, schwappenden Rest Wasser in einer Schüssel.
    Wir sahen Sterling an, beide verwirrt, und er sagte: »Scheiße«, und ich ahnte, dass er nicht viel älter war als wir. »Na gut. Aufgepasst«, sagte er. »Sie sind ab jetzt meine Jungs – alle beide.«
    »Roger, Sarge«, sagten wir.
    »Sie haben uns gerade unser Einsatzgebiet durchgegeben. Das wird eine beschissen harte Nuss. Sie müssen mir versprechen, mir immer zu gehorchen.«
    »Okay. Alles klar, Sarge.«
    »Lasst das scheiß Gerede, Privates. Es gibt ab jetzt kein ›Alles klar‹ mehr. Versprecht mir, dass ihr jederzeit gehorcht. Jederzeit, verdammt nochmal.« Er ließ die Faust im Takt der Worte auf seine linke Handfläche klatschen.
    »Wir gehorchen. Versprochen«, sagte ich.
    Er holte tief Luft und lächelte. Seine Schultern sackten ein Stückchen tiefer.
    »Und wohin geht es, Sarge?«, fragte Murph.
    »Al Tafar. Im Norden, nahe an Syrien. Die Haddschis wollen da unbedingt zeigen, was sie draufhaben. Geht manchmal richtig hart zur Sache. Ich dürfte Ihnen das gar nicht sagen, aber ich möchte, dass Sie etwas begreifen.« Wegen des Bettes über ihm saß er gebückt da, musste sich zu uns vorbeugen, zwischen uns die weiße Fläche des gebohnerten Fliesenfußbodens.
    Murph und ich tauschten einen Blick, warteten darauf, dass er fortfuhr.
    »Es wird Tote geben«, sagte er tonlos. »Lässt sich statistisch gesehen nicht vermeiden.« Dann stand er auf und verließ die Stube.
    Ich schlief irgendwie ein, doch mein Schlaf war unruhig. Ich wachte immer wieder auf und schaute zu den Fenstern, um zu sehen, wie viel Eis sich darauf gebildet hatte. Während der frühen Morgenstunden, kurz vor Tagesanbruch, fragte mich Murph, ob wir durchkommen würden. Ich starrte weiter aus dem Fenster, das während der Nacht von einer dünnen Eisschicht bedeckt worden war. Der orangefarbene Schein einer Straßenlaterne drang durch die milchige Oberfläche. In der Stube war es kalt, und ich wickelte mich fest in meine Wolldecke. »Klar kommen wir durch, Murph«, sagte ich. Aber ich glaubte nicht daran.
    Wir hievten uns noch vor dem Morgengrauen über die Seiten der Zweieinhalbtonner unserer Kompanie und fuhren im Konvoi zur

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