Die Sonne war der ganze Himmel
Schießbahn. Der Schnee war über Nacht in Regen umgeschlagen, und wir zogen die Kapuze so tief wie möglich über den Helm. Der Regen trommelte eisig. Die Tropfen liefen hinten über Jacke und Hemd, jeder kurz vor dem Gefrierpunkt. Alle schwiegen.
Nach der Ankunft auf der Schießbahn stellten wir uns für das Sicherheits-Briefing im gräulichen Schnee auf. Ich war müde und konnte mich kaum konzentrieren. Die bellenden Stimmen der Schießbahnleiter klangen im Dunst wie ein ungeübter Chor. Ich sah dem Regen zu, der auf welkes Laub fiel, den kahlen Ästen einen schwachen Glanz verlieh. Das Geräusch, mit dem die Magazine von den Männern des Schießbahnkommandos geladen wurden, drang aus der baufälligen Munitionsbaracke durch die Winterluft bis zu uns herüber. Die abblätternde weiße Farbe erinnerte mich an eine Kirche, an der ich als Junge immer auf dem Schulweg vorbeigekommen war. Die Geräusche aus der Baracke klangen fremdartig und mechanisch, sie dröhnten so laut in meinen Ohren, dass ich die Sicherheitsoffiziere nicht mehr verstand. Sterling und Murph hatten sich in die Schlange für die Schießbahn eingereiht. Sterling starrte mich an, schob sein Gewehr in die Armbeuge und deutete auf seine Armbanduhr. »Wir warten auf Sie, Private.«
Sterling gab uns beim Schießen genaue Anweisungen, und Murph und ich hatten eine bessere Trefferquote als je zuvor. Sterling wirkte gutgelaunt, schien zufrieden mit uns. »Weniger als vierzig Treffer bei vierzig Schuss – das liegt immer am Schießbahnleiter«, sagte er. Wir gingen zu einem kleinen Hügel, der hinter der Feuerlinie abfiel. Sterling legte sich trotz des Schnees auf den Hang, und wir ließen uns vor seinen Füßen nieder. »Ich glaube, Sie können das schaffen«, sagte er. Wir schwiegen eine Weile, freuten uns über sein Lob. Die Sonne stand immer noch hoch über dem Wall am Ende der Schießbahn, als Murph etwas sagte.
»Wie ist es da drüben, Sarge?«, fragte er schüchtern. Er saß im Schneidersitz im Schnee, das Gewehr im Schoß, als wollte er eine Puppe wiegen.
Sterling lachte. »O Mann, diese scheiß Frage.« Er hatte Steine aufgelesen und warf sie auf meine umgedreht daliegende Schutzweste.
Murph wandte den Blick von ihm ab.
Sterling sprach mit fester Stimme. »Die werden nicht auftauchen und darauf warten, dass Sie sie abknallen. Halten Sie sich an die Regeln, dann können Sie tun, was getan werden muss. Anfangs fällt es schwer, aber eigentlich ist es kinderleicht. Jeder kann das. Immer auf einen festen Stand und eine gute Sicht achten, ruhig atmen und abdrücken. Manche haben hinterher ein Problem damit. Aber die meisten sind ganz heiß drauf, zu schießen.«
»Schwer einzuschätzen«, sagte ich. »Ob wir zu diesen oder jenen gehören werden, meine ich.«
Sterling schwieg kurz. »Dann fangen Sie schon mal an, es sich vorzustellen«, sagte er mit leisem Lachen. »Sie müssen tief graben. Ihre dunkle Seite zutage fördern.«
Ich lauschte dem Gewehrfeuer. Sah, wie Äste federnd Schnee abwarfen, wenn von den Schüssen erschreckte Vögel aufflogen. Die Sonne stand klein und hell am Himmel. Der Regen war nur noch ein Nieseln.
»Und wie geht das?«, fragte ich.
Sterling tat genervt, aber ich wusste, dass wir durch unsere gute Leistung auf der Schießbahn bei ihm gepunktet hatten. »Keine Sorge. Ich helfe Ihnen dabei.« Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, besann sich aber. Meine Schutzweste war voller Steine.
»Scheiße«, sagte Murph.
»Wir müssen das einfach üben. Üben, üben, üben«, sagte Sterling. Er ließ den Kopf auf den Boden sinken, legte die Füße auf meinen Helm.
Murph wollte etwas sagen, aber ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wir haben verstanden, Sarge«, sagte ich.
Sterling stand auf und reckte sich. Hinten war seine Uniform klitschnass, aber das schien ihn nicht zu stören. »Die haben angefangen«, sagte er. »Vergessen Sie das nicht. Die fangen jedes Mal an. Die sollten nicht uns, sondern sich selbst abknallen.«
Ich wusste nicht genau, wen er mit »die« meinte.
Murph sah zu Boden. »Und … und was sollen wir tun?«
»Zerbrecht euch nicht den Kopf, ihr zwei Hübschen. Haltet einfach den Schwanz fest. Dann wird alles gut.«
»Den Schwanz?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete er. »Ich ficke dann den Hund.«
Das Gewehrfeuer verstummte. Unsere letzte Aufgabe lag hinter uns. Wir stiegen wieder auf die Tonner, sehnten uns nach Ausgang und ein wenig Zeit mit unseren Familien. Ich dachte an Sterlings
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