Die Spieler
währenden
Regenschauer, dem Regen seiner Kindheit, der das erhabene Kriegerdenkmal des glorifizierten
Verräters oben im Wald einhüllt, als wolle er die vor Jahrhunderten begangenen Gräueltaten von den
Wäldern abwaschen, die blutgetränkten Böden reinigen, die in der Tiefe der Knochengruben
ruhenden Gebeine der Toten endgültig auflösen und fortführen in einem fauligen Fluss aus Tränen,
Tropfen und Phosphaten in das Meer der Entseelten, Verlorenen. Vergessenen. - Palmstedt hüllt sich
in die Decke. Arka hat sich auch wieder eingeigelt. Dann schlafen beide bis zum Morgengrauen.
Ohne Träume. Und ohne Last.
*
Das Ausflugsschiff liegt still am restaurierten Mainkai unterhalb des Höchster Schlosses, dessen
Burgfried - ein weiß getünchter Phallus, ein Platzhalter der bis an die Tore Frankfurts reichenden
Macht der Mainzer Kurfürsten, denen er Zölle und Waren bescherte - seit dem Mittelalter die
Mainufer weithin sichtbar überragte, bis zu den Tagen, als die ersten Glaspaläste und Bürotürme des
in nicht allzu weiter Ferne
gelegenen Messeund Bankenzentrums ihm
die Rolle
des
Geschichtlichen, Vergangenen, Gewesenen zuwiesen.
Die
Stadt hat viel Geld in das neue
Erscheinungsbild des Flussufers gesteckt. Ein
Naherholungsgebiet für Rentner und Freizeitsportler ist es geworden. Für Jogger, Radfahrer,
Spaziergänger. Kinderspielplätze und eine Fähre zum Gegenufer, der Schwanheimer Seite, wurden
installiert. Die Bürger sollen sich hier wohlfühlen, sich treffen. Sich finden. Stadtplaner nennen
Projekte wie diese mehrschichtige
Kommunikations- und Werträume . Es dauert nicht mehr lange,
dann wird auch der kleine Strand , den ein geschäftstüchtiger Jungwirt extra hat aufschütten lassen,
wieder eröffnet und mit Liegestühlen ausgestattet sein. Dann trinken die Menschen hier wieder
Apfelwein aus Rautengläsern, wie fast überall in der Stadt, liegen in den Stühlen und blinzeln in die
Sonne. Cote d'Azur auf Hessisch.
Henk van de Hoogten hat seinen unscheinbaren dunkelgrauen Dienstpassat an die Mauer des
Bolongaro-Palais gequetscht. Er fand den Parkplatz, den es früher hier gab, viel praktischer. Van de
Hoogten läuft nicht gerne. Schon gar nicht einfach nur so . Zum Laufen muss es immer einen guten
Grund geben. In seiner Freizeit gibt er sich lieber seinem Hobby hin. Van de Hoogten liest sehr viel.
Und außerdem liebt er das Essen. Wohlgemerkt, nur das Essen. Mit dem Kochwahn, der hierzulande
in den Designer-Küchen in den letzten Jahren ausgebrochen ist, hat er nichts am Hut. Es wird nur
noch gekocht, gevögelt und gecastet , denkt er sich oft, wenn er durch die TV-Sender zappt. Ja, das
wäre ein guter Titel für das gesellschaftskritische Buch, das er gerne schreiben würde. Wenn er das
Talent zum Schreiben hätte. Und die Zeit natürlich. Bis dahin überlässt er das Kochen seiner Frau
Mariella. Ihre bayerische Küche trägt die Hauptschuld an seinem unter den vielen Kilos leidenden
Körper. Als sie sich in Amsterdam kennenlernten vor neun Jahren, war er noch nicht so. So
korpulent. Da fuhr er noch Rad und ging regelmäßig schwimmen. Heute geht er nur noch zum
Wagen. Oder vom Wagen ins Haus. Oder ins Büro. Oder vom Büro in die Kantine.
Gemächlich läuft er zu dem weißen Schiff am Anleger hinüber. Die Nacht zuvor wurde hier eine
Hochzeitsgesellschaft abgehalten. Die
letzten Gäste verließen gegen vier
Uhr
morgens den
schwimmenden Tresen. Da war die Braut schon längst beglückt. Einer der Hilfskellner hat ihn
gefunden, sagte sein Chef am Telefon. Höchst gehört zum Gebiet seines Referats. Das
Polizeipräsidium Frankfurt hatte gleich weiter an das Landeskriminalamt in Wiesbaden abgegeben.
Die anderen im Referat haben Urlaub oder sind auf Lehrgang. Da hat der Alte van de Hoogten
geschickt. Tut dem van den Hüften , wie sie van de Hoogten im Referat nennen, ganz gut, wenn er
sich mal bewegen muss, dachte sein Vorgesetzter, Polizeioberrat Kanthausen. Und außerdem habe er
ja mal in Höchst gewohnt und kenne die Örtlichkeiten, hat der alte Kanthausen gemeint.
Van de Hoogten zieht das schwarz-gelbe Trassierband über seinen Kopf und geht zu den beiden
Beamten, die gerade ihre weißen Overalls ausziehen. Sie nicken ihm zu, als van de Hoogten ihnen
seine Dienstmarke
beiläufig
zeigt. Die
wenigen Schaulustigen, die sich an diesem frühen
Sonntagmorgen bereits am Mainufer eingefunden haben, die eigentlich nur Brötchen holen wollten
oder zum Frühsport unterwegs
Weitere Kostenlose Bücher