Die Spucke des Teufels
ihr den Gasthof wegnehmen, denn sie
wär dem alten Wirt ohne Mitgift, sogar gegen ein Brautgeld verheiratet worden,
wär also bloß sein Muntweib gewesen, das nach altem Brauch von den Dorfoberen
vertrieben gehört. Der Müller aber lacht über solches Geseire und behauptet, es
sei eben ein Wesenszug der Niederrheiner, dass sie an sich nix wissen, wohl
aber alles erklären können.
Freitag, 12. Dezember
Die Niederrheiner lassen sich aber auch gern was
erklären, wenn sie nix wissen, sodass ich von Einzelheiten des großen Unglücks
in Lissabon berichten kann, denn die Gazetten sind voll davon und so mancher,
der weder lesen noch sich selber was ausdenken kann, freut sich, wenn ich sage,
ich wär dort gewesen, hätt die Nacht zu Allerheiligen in einer vornehmen
Herberge am Hafen verbracht, wär vom Beben geweckt worden, wär vor Schreck
hinausgelaufen, hätt die Feuersbrunst mit eigenen Augen gesehen und die
turmhohen Wellen wären auf mich zugerollt, und da hätt ich die Beine unter die
Arme genommen, wär um mein Leben gerannt, und zwar hinauf in den Teil von
Lissabon, der Alfama heißt, und so wär ich gerettet worden, blieb doch
ausgerechnet die Alfama unzerstört, der Sündenpfuhl der sonst ehrwürdigen und
rechtgläubigen Stadt.
Wie ich so rasch von Lissabon an den Niederrhein gekommen
bin, fragt mich keiner, aber weshalb Gott der Herr ausgerechnet die Alfama
verschont hat, wo Piraten, Räuber und Dirnen fröhliche Urständ feiern, das will
ein jeder hören. Und so berichte ich, was heidnisches Volk sich gern erzählt,
nämlich dass die Alfama einst von Odysseus, dem Seefahrer, gegründet worden wär
und seither von allen Göttern Athens in Obhut genommen würd, sodass auch kein
Christengott dreinschlagen könne, so wie in Sodom und Gomorrha. Das alles zu
erzählen beschert mir ein gutes Zusatzgeschäft mit meinen selbst geschmiedeten
eisernen Drudenfüßen, die ich an Lederbändchen für um den Hals zu tragen
feilhalte, und zwar im Dutzend billiger.
Samstag, 13. Dezember
Es wär wohl an der Zeit, dass ich mich jetzt
aufmach nach Trier, wo Schwester und Schwager wohnen, damit ich zum Lichtfest
dort bin. Es dauert mich abzureisen, denn diese Nester am Niederrhein gefallen
mir, ebenso die Menschen, welche auf die eine Art lustig und unbedarft sind,
auf die andere Art still und weise, sodass ich gedenke, bald wiederzukommen und
eine Barbierstube in Goch zu eröffnen, was vielleicht gelingen kann, da selbst
gut gestellte Gocher Bürger ebenso wie preußische Militärs tagelang unrasiert herumlaufen
und man den Vorteil von einem glatten Kinn hier nur einmal publik machen müsst,
um ihn trefflich zu nutzen.
6 Lisbeth
Die Preußenfahne und das Gatter vor dem Wirtshaus
sind nichts Ungewöhnliches mehr. Wenn die Herren Offiziere, die Amtspersonen
und hochwohlgeborenen Herrschaften zu Lisbeth kommen, um Kartoffelsuppe zu
essen, darf kein niederes Volk herein. Doch heute treiben die Preußen noch mehr
Aufwand als sonst, errichten seit den Morgenstunden eine blickdichte Barriere
rund um Haus und Hof, scheuchen mehr als ein Dutzend Dragoner hin und her,
damit diese die Fronten zur Straße, zum Wald, zum Feldrand bewachen sollen.
Lisbeth beobachtet das Geschehen vom Fenster aus, fühlt sich, als wäre sie bei
sich selbst zu Gast. Angesagt ist eine junge Comtesse aus Hannover mit
Gesellschafterin. Zweifellos eine Ehre und Lisbeths Herz flattert vor Aufregung.
Doch warum muss eine Grafentochter aus dem Hannoveranischen derart um Leib und
Leben fürchten?
Als die Kutsche vorfährt, stehen augenblicklich alle Dragoner
und höhere wie niedere Militärs stramm. Dabei ist es nur eine schlichte
Postkutsche ohne Wappen, die vor dem Wirtshaus hält. Ein Puppengesicht, umhüllt
von einer blauen Kapuze, lächelt heraus. Vom Kutschbock steigt eine Uniform mit
Froschmaul. Major Kreutzer! Er postiert sich dicht bei der Türe des Gefährts.
Doch erst als eine zweite Kutsche in den Hof rumpelt und sechs Soldaten mit
Bajonetten herausspringen, lässt sich das Puppengesicht aus dem Wagen helfen.
Der Kreutzer und die Burschen umringen die kleine Person sogleich wie die Zähne
einer Mausefalle das darin ausgelegte Käsestückchen und geleiten sie sorgsam
zur Wirtshaustür. Hinterdrein geht schutzlos eine zweite Frauengestalt. Die
jungen Soldaten – Lisbeth erkennt sie sofort – gehören zur Leibgarde! Zur
Leibgarde der Prinzessin!
Lisbeth ist fassungslos. Das Blut kribbelt heiß und kalt
zugleich in
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