Die Stadt in den Sternen (German Edition)
breiten Hände zu. Er riß sie gegen seine Brust, seine Arme klammerten sich wie Schraubstöcke um die schmalen, zerbrechlich wirkenden Körper. Mit einem kurzen Ruck hob er sie hoch. Er warf sie auf die flache Liege, kniete sich über sie und preßte sie nach unten. Pfeifend entwich die Luft aus den Lungen der beiden Fremden. Reanny biß die Zähne zusammen. Sein Zorn verrauchte, und plötzlich erkannte er, was er getan hatte. Taumelnd wich er zurück. Mit den Schulterblättern stieß er gegen die hellgrüne Wand. Seine Hände zuckten über die reliefartigen Blumenmuster. Er schluckte. Und dann fühlte er, daß er leichter wurde. Sein Magen hob sich, während das schwere Blut in seinen Schläfen pochte.
Der Raum vor ihm begann sich zu drehen. Reanny taumelte, seine Schritte waren schwebend und leicht. Er erreichte die Türöffnung. Ein heller, schnurgerader Gang nahm ihn auf. In regelmäßigen Abständen waren farbige Lampen an den Wänden angebracht. Reanny begann zu laufen. Mit langen, ungewohnt weiten Sprüngen hetzte er durch den Gang. Seine Flucht war ohne Ziel, doch daran dachte er nicht.
*
Das Licht kam vollkommen unerwartet. Es überraschte ihn mitten auf dem Broadway. Innerhalb weniger Sekunden wich die Dunkelheit einem grellen orangefarbenen Schein. Die Luft über ihm wurde hellblau, dunkelblau, violett und schließlich wieder schwarz. Eine ganze Skala ungeheuer intensiver Farben flutete in weniger als zehn Sekunden auf ihn herab.
Unwillkürlich blieb Nail McMan stehen. Er befand sich in der Nähe des Central Parks an der Ecke zur 57th Street. Obwohl der Himmel wieder absolut schwarz war, schloß Nail McMan für einige Sekunden die Augen. Das gleißende Licht der Sonne blendete ihn. Es war, als würde in seiner unmittelbaren Nähe elektrisch geschweißt. Nur langsam konnte er sich an das Licht gewöhnen. Er blinzelte zur Sonne hinauf. Die weißgelb glühende Scheibe hing klar und ohne Aureolen am Himmel. Die glatten, fugenlosen Wolkenkratzer um ihn herum warfen scharfe Schatten. Nail McMan wartete, bis sich die Polarisationsschichten an den Häuserwänden auf die neuen Lichtverhältnisse eingespielt hatten. Es dauerte fast eine Minute, bis das von den Wänden zurückgestrahlte Sonnenlicht weicher und angenehmer wurde.
Erleichtert atmete Nail McMan auf. Er hatte nicht damit gerechnet, daß es so schnell wieder Tag wurde. Schon seit längerer Zeit beteiligte er sich nicht mehr an der Wahl der Tageszeiten.
Die Nacht war kurz gewesen – viel zu kurz für Nail McMan und seine Freunde. Trotzdem hatte der unerwartete Wechsel vom Nachtzustand auf Tageslicht einen höchst willkommenen Nebeneffekt: Nail McMan brauchte sich keine Entschuldigung für sein Fernbleiben vom Arbeitsplatz auszudenken.
Erleichtert ging er weiter. Er trat wieder auf die Fließstraße an der rechten Seite des Broadways. Nachdem er einige Male die Übergänge gewechselt hatte, erreichte er die Park Avenue. Auf der mittleren Fließstraße glitt er bis zum Central Park hinauf. Nur wenige Minuten später erreichte er eines der Hochhäuser. Er ging durch die gläserne Empfangshalle und nahm einen Schnellift bis zum vierundzwanzigsten Stockwerk. In allen Etagen des Hochhauses arbeiteten Angestellte von EX-GEO.
Das Forschungsinstitut für experimentelle Geophysik unterstand direkt dem Senat.
Nach dem Studium der Mineralogie hatte Nail McMan eine Anstellung als wissenschaftlicher Assistent bei EX-GEO erhalten. Das war vor knapp zwei Jahren gewesen.
Er ging an einem Automaten vorbei und nahm seine Tagesdosis Tabletten heraus. Das wichtigste waren die kleinen gelben Pillen, die sie Vitamin G-MB genannt hatten. Sie sorgten dafür, daß die Menschen die veränderten Umweltbedingungen aushalten konnten. Nail McMan öffnete die Tür zu seinem Büro. Er grinste die Abteilungssekretärin an und hoffte dabei, daß sie ihm keine Fragen stellte. Er hatte sein Büro fast erreicht, als sie ihn doch noch ansprach.
»Nail – Dr. Ragano möchte Sie sprechen!«
McMan blieb abrupt stehen. Er starrte gegen die Wand. Unendlich langsam drehte er sich um. Er sah die Blondine hinter dem halbrunden Kommunikationspult an. Ihre Hände ruhten auf einer Batterie von farbigen Knöpfen. Die Abteilungssekretärin saß bewegungslos vor Ihren Bildschirmen. Sekundenlang sahen sie sich in die Augen, dann schüttelte die Blondine kaum merklich den Kopf.
»Er wartet auf Sie, Nail, seit mehr als einer halben Stunde ...«
Nail McMan holte tief Luft. Er war blaß geworden.
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