Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
das, wie zu zeigen sein wird, mehr als nur das taugliche Grundmuster spiritueller Meditation und individueller Achtsamkeit ist. Vielmehr lässt sich die Stein-Strategie anwenden auf Politik und Staatskunst, Bildende Kunst und Literatur. Sie ist handlungsleitend für Wirtschaft, Management und Finanzgeschäfte. Und sie stiftet Orientierung im unwegsamen Gelände von Paarbeziehungen und privaten Konflikten, was ja nicht selten dasselbe ist.
Eine Freundin, ohne die ich selbst niemals zum Bücherschreiben gekommen wäre, die Autorin, Verlegerin und große Alltagsphilosophin Annette Anton, pflegt zu sagen: „Entweder, man ist Teil des Problems – oder man ist Teil der Landschaft.“ Wenn man vor der Wahl steht, ist Letzteres sicher die bessere Alternative. Wir wollen also damit beginnen, wie man Teil der Landschaft wird. Wir wollen begründen, warum es von Vorteil sein kann, sichnicht zu bewegen.
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DIE KUNST DES LIEGEN-BLEIBENS
Don't panic!
Was tun, wenn man sich sorichtig verlaufen, wenn man sich nach Strich und Faden verirrt hat? Wenn der Akku des Smartphones leer ist und weder GPS-Navigation noch Notruf zur Verfügung stehen? Wenn sich im Bewusstsein die Erkenntnis Bahn bricht, dass es diesmal wirklich ernst ist, dass sich kein einfacher Ausweg auftut und man am Ende sterben könnte? Vorhin sah man doch noch den Wandererparkplatz in der Ferne. Diese Felsformation kommt einem irgendwie vertraut vor, hat man die nicht vom Tal her aus einem anderen Winkel gesehen? Und hat man nicht schon einmal genau im Schatten dieses Baumes Rast gemacht?
Die meisten lebensgefährlichen Situationen kommen ja nicht dadurch zustande, dass jemand sich wissentlich in äußerste Gefahr begibt. Sie ereignen sich nicht fern abseits der Zivilisation, sondern in ihrem toten Winkel, in unmittelbarer Nähe ausgetretener Pfade: Das Schlauchboot treibt ganz allmählich von der Küste ab. Beim Pilzesuchen gerät man ins tiefe Unterholz und findet den Weg nicht mehr zurück. Eine vermeintliche Abkürzung während eines ausgedehnten Spaziergangs imGebirge entpuppt sich als Holzweg; plötzlich schlägt das Wetter um.
Tatsächlich ist der Übergang von „alles unter Kontrolle“ zu „komplett hilflos“ ein gradueller, es sei denn, ein Flugzeug stürzt ab, ein Schiff kentert oder eine Lawine reißt einen in den Abgrund. Verirrtsein ist kein objektiver Tatbestand, der irgendwann eintritt. Es ist ein Geisteszustand, der meist lange hinausgezögert wird. Davor kommt jene Phase, die man metaphorisch „Pfeifen im Walde“ nennt: ein autosuggestives Verleugnen und Verdrängen des Unabweisbaren.
Je nach Panikneigung gelingt es unserem Bewusstsein erstaunlich lange, die Situation als unkritisch zu verharmlosen, Zweckoptimismus zu verbreiten und Souveränität zu suggerieren, während es dem Unbewussten schon merklich unbehaglich wird und sich im Körper ein explosiver Cocktail aus Stresshormonen zusammenbraut. „Bending the map“, die Landkarte verbiegen, nennen Psychologen dieses Verhaltensmuster: Wir passen die mentale Landkarte soweit an, dass sie den aktuellen Gegebenheiten entspricht. Und was nicht passt, wird passend gemacht.
Die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, die innere Landkarte den äußeren Gegebenheiten anzupassen, auch wenn schon längst nichts mehr zusammenpasst, ist enorm. Ein Freund, berichtet der Situationist Guy Debord, sei mit einem Stadtplan Londons durch den Harz gewandert und habe sich damit prima zurechtgefunden. So in etwa muss man sich das Bending the map vorstellen. Nur dass es im Falle des Verirrtseins unwillkürlich geschieht. Irgendwann jedoch wird das Knirschen im Kopf – die kognitive Dissonanz zwischen innerer Karte und äußeren Umständen – zu massiv. Das Konstrukt kollabiert, und helle Panik bricht aus. Das ist dann der Moment, indem sich entscheidet, wie die Chancen stehen, mit dem Leben davonzukommen.
Evolutionsbiologisch ist Panik ein sinnvolles Reaktionsmuster. Das Herz beginnt zu rasen, das Bewusstsein verengt sich, und körperliche Kräfte werden mobilisiert. Über Jahrmillionen hat sie uns gute Dienste geleistet, wenn es darum ging, sich gegen Räuber und Raubtiere instinktiv zur Wehr zu setzen oder die Flucht zu ergreifen. Wenn es nicht mehr um Überlebenskampf, sondern bloß um Orientierung in der Wildnis geht, ist sie jedoch kein guter Ratgeber. Sie verleitet uns zu kopflosen Aktionen, die die Situation in den meisten Fällen verschlimmern. Latent lebensbedrohliche physische
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