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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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könnte sie aufschrecken, und sah mich zu einer Erklärung gezwungen.
    »Entschuldige, ich kenne das Pärchen und habe es seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Damals waren sie noch kein Paar. Nimm’s mir nicht übel, bitte. Es macht mich nur neugierig, sie zusammen zu sehen, du verstehst schon.«
    »Ach wo, gern«, antwortete sie verständnisvoll, nachdem sie sich noch einmal unverschämt umgeblickt hatte. Sofort hatte sie die Situation begriffen, manchmal muss ich leicht zu durchschauen sein. »Ist hübsch, der Kerl, wundert mich nicht. Nur zu, Mädchen, bleib du ruhig am Ball. Ich bin nicht da.«
    Ja, und ob sie ein Pärchen waren, so etwas springt einem selbst bei völlig Unbekannten ins Auge, und ihn kannte ich zur Genüge, sie weniger, da wir nur ein einziges Mal ausführlich gesprochen hatten – oder sie allein, ich war an dem Tag bestimmt austauschbar gewesen, ein beliebiges Ohr –, eigentlich so gut wie gar nicht. Doch jahrelang hatte ich sie in ähnlicher Haltung beobachtet, das heißt, mit ihrem damaligen Partner, der inzwischen ausreichend lange tot war, damit Luisa wohl nicht mehr als Erstes, Entscheidendes von sich dachte: ›Nun bin ich verwitwet‹ oder ›ich bin eine Witwe‹, denn das war sie inzwischen sicher nicht mehr, Tatsache und Umstand hatten sich geändert, obwohl sie die gleichen geblieben waren. Jetzt sagte sie sich eher: ›Ich habe meinen ersten Mann verloren, von Tag zu Tag wird er mir ferner. So lange sehe ich ihn schon nicht mehr, der andere dagegen ist hier an meiner Seite und wird es bleiben. Auch ihn nenne ich meinen Mann, wie merkwürdig. Aber er hat seinen Platz im Bett eingenommen, und durch dieses Nebeneinander verwischt er ihn, löscht ihn aus. Etwas mehr mit jedem Tag, mit jeder Nacht.‹ Und ich hatte die beiden da drüben früher zusammen gesehen, ein einziges Mal, doch das genügte, um seine Verliebtheit, seinen Eifer zu bemerken und ihre Achtlosigkeit, ihre Gleichgültigkeit. Jetzt hatte sich das Bild gewandelt. Sie waren Auge und Ohr füreinander, plauderten lebhaft, blickten sich manchmal wortlos an, griffen quer über den Tisch nach den Fingern des anderen. Er trug einen Ring am Ringfinger, sie hatten also standesamtlich geheiratet, irgendwann, vielleicht vor kurzem erst, vorgestern, gestern sogar. Sie sah besser aus, und er hatte sich nicht zum Nachteil verändert, da war Díaz-Varela mit denselben Lippen, deren Bewegungen ich aus der Distanz verfolgte, manche Gewohnheit verliert man nicht oder nimmt sie gleich wieder an, ganz automatisch. Unwillkürlich hob ich die Hand, als wollte ich sie aus der Ferne berühren. Die Freundin des Romanciers, die Einzige, die hin und wieder zu mir blickte, sah es und fragte liebenswürdig:
    »Verzeih, aber ist etwas?« Sie dachte wohl, ich hätte ihr einen Wink gegeben.
    »Nein, nein, keine Sorge.« Und ich wedelte mit der Hand, was heißen sollte: ›Hat nur mit mir zu tun.‹
    Ich musste einen leicht verstörten, wenn auch nicht bestürzten Eindruck auf sie gemacht haben. Zum Glück hoben die anderen am Tisch pausenlos und lautstark ihre Gläser, ohne auch nur im Geringsten auf mich zu achten. Einer von ihnen begann, wie mir schien, bedrohlich zu trällern (
Ay mi niña, mi niña, Virgen del Puerto
schnappte ich auf), ich weiß nicht, warum sie so nach Flamencolokal aussahen, der Romancier war gar nicht so, ein Typ im Rautenpullover, mit Vergewaltiger- oder Psychopathenbrille, dem Anschein nach voller Komplexe, der unbegreiflicherweise eine nette, attraktive Freundin hatte und dessen Bücher sich recht gut verkauften – jedes einzelne eine anmaßende Hochstapelei –, deshalb hatten wir ihn in ein etwas teureres Restaurant ausgeführt. Ich flehte – ein stummes Stoßgebet an die Virgen del Puerto, auch wenn ich noch nie von ihr gehört hatte –, dass der Gesang nicht anschwoll, ich wollte nicht abgelenkt werden. Ich konnte die Augen nicht von dem Tisch, von meiner Bühne dort wenden, und plötzlich kam mir wieder ein Satz aus den nun schon alten Zeitungen in den Sinn, die zwei jämmerliche Tage lang über die Nachricht geschrieben hatten, um sie dann im Schweigen zu begraben: ›Fünf Stunden rang er mit dem Tod und erlangte in keinem Augenblick das Bewusstsein wieder, das Opfer erlag in den frühen Abendstunden seinen Verletzungen, ohne dass die Ärzte ihn hätten retten können.‹
    Fünf Stunden im OP , dachte ich. Unmöglich, dass man nach fünf Stunden nicht die Metastasen im ganzen Organismus entdeckt, von denen

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