Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
vor Nässe, sodass sie daran kleben blieb. Er schob sie ihr zwischen die Lippen, als sie sich zögernd vorbeugte. Ihre Lippen fühlten sich ganz weich an seinen Fingerspitzen an.
Sie hustete und spuckte einen Tabakkrümel aus. »Igitt!« »Am Anfang ist es echt eklig, aber man gewöhnt sich dran.«
»Echt? Ach, das werde ich schon.« Sie war fest entschlossen, es richtig zu machen.
Er drückte ihr die Zigarette abermals zwischen die Lippen. Diesmal schaffte sie es, nicht zu husten, aber er sah ihr an, dass es ihr nicht schmeckte.
»Braves Mädchen«, lobte er. Sie lächelte stolz. Erst jetzt bemerkte er, dass ihre Vorderzähne leicht übereinander standen. Das konnte einen Jungen ganz schön verrückt machen, dachte er.
»Johnny? Hast du eine Freundin?«
Er ließ sich nach hinten sinken, stützte sich auf den Ellbogen ab und blickte zu dem Fischerboot hinaus. »Nicht so richtig.«
»Was heißt das?«
»Es heißt nicht so richtig .«
Sie drehte sich auf den Bauch und sah ihn an. »Okay. Dann sage ich es dir«, meinte sie. »Habt ihr schon mit Zunge geknutscht?«
Er sah ihr mit unbewegter Miene ins Gesicht. »Ja.«
»Dann hast du eine Freundin«, erklärte sie, als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt. Sie setzte sich wieder auf und sah zu den Lichtern, die weit draußen auf dem Atlantik blinkten. Logisch hatte er eine Freundin. So wie er aussah, so wie er seine Zigarette rauchte. Und als Abenteurer schon zweimal.
»Hast du vor, sie zu heiraten?«
Johnny lachte. »Nein.«
»Wieso nicht?«
Er nahm einen langen Zug von seiner Zigarette. »Weil sie schon verheiratet ist.«
Sie wandte sich ihm zu. Ihr fiel die Kinnlade herunter, und ihre Augen weiteten sich, als sie nach Luft schnappte. »Wow! Wie alt ist sie denn?«
»Fünfunddreißig«, antwortete er und sah zu, wie sich der Schock auf ihren hinreißenden Zügen ausbreitete.
»O mein Gott!«, schrie sie völlig verzückt. »Dann ist sie ja eine alte Frau, Johnny! Du bist doch erst vierzehn!«
Vor zwei Monaten war Johnny bei einer Freundin seiner Mutter als Babysitter eingesprungen. Sie war früher als erwartet nach Hause gekommen. Ihr süßer Rotweinatem war ihm in die Nase gestiegen, als sie ihn in der Diele angehalten und ihm ein paar Scheine in die Hemdtasche gesteckt hatte. Sie sei noch nie einem derart sexy jungen Mann begegnet, hatte sie gemeint, dann hatte sie sich völlig überraschend vorgebeugt und ihre lila verfärbten Lippen auf seinen Mund gepresst. Eins hatte zum anderen geführt, und am Ende hatte sie ihm auf einer Superman-Decke auf dem Wohnzimmersofa die Unschuld geraubt, nur wenige Minuten, bevor ihr Mann nach Hause gekommen war. Seither passte er so oft auf ihre Kinder auf wie nie zuvor.
Erst jetzt fiel ihm ein, dass Clem noch genauso klein war wie seine Schwester. »Aber erzähl Linda nichts davon, Clem.«
»Klar«, gab sie zurück und machte eine Geste, als würde sie ihre Lippen versiegeln. Sie liebte Geheimnisse. Allerdings wusste sie nicht recht, wie sie mit diesem hier umgehen sollte. Sie kaute noch eine Weile auf der Neuigkeit herum, doch egal aus welcher Perspektive sie das Ganze betrachtete, gelang es ihr nicht, dieses mulmige Gefühl abzuschütteln.
Das Fischerboot hatte inzwischen nach Süden abgedreht, sodass lediglich die Lichter auf der Backbordseite zu erkennen waren. Sie saßen ganz dicht nebeneinander und sahen zu, wie es vorüberzog, während ihnen der milde Westwind die Haare aus dem Gesicht blies.
»Johnny«, sagte sie leise und sah ihn aus ihren dunklen Augen an. »Heiratest du mich eines Tages? Wenn deine Freundin gestorben ist?«
Er lächelte, zögerte jedoch keine Sekunde. Sie war genau die Art Mädchen, die er auf der Stelle heiraten würde. »Okay.«
»Ich mein’s ernst.«
Johnny auch.
»Versprochen?«
Er sah sie an und nickte.
»Du musst mir etwas schenken, sonst ist es kein richtiges Versprechen.« Schon damals schien ihr die Bedeutung von Symbolen bewusst zu sein.
»Ich habe aber nichts.«
Dann fiel es ihm ein. Er zog den kleinen herzförmigen Stein aus seiner Hosentasche, den er am Strand gefunden hatte.
»Jonathan Love, willst du mich heiraten?«
Johnny stand in der Diele neben der Küchentür, wo das Telefon stand. Dad, Rob und Sarah saßen am Abendbrottisch und lauschten, falls es für sie war.
»Da ist doch Johnny, oder?«, fragte sie.
»Am Apparat.«
»Hier ist Clem.« Sie musste sein Zögern gespürt haben. »Clemency Bailey. Erinnerst du dich noch an mich?«
Und ob er
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