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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Doch nun sah er sie zum ersten Mal wirklich, als hätte jemand ein falsch eingestelltes Fernglas justiert. Und da stand sie, Sarahs Freundin, eine völlig neue Spezies, eine namens »Clemence Bailey«. Wieder nahm sie ihre Position ein, stand stocksteif da, machte sich bereit und schnellte scheinbar furchtlos in die Höhe. Sie drehte sich in der klaren Sommerluft einmal um die eigene Achse, nur dass die Bewegung diesmal langsamer und genüsslicher anmutete als zuvor.
    Rob stieß einen bewundernden Pfiff aus. Sie drehte sich zu ihnen um und verbeugte sich theatralisch, ehe sie ein weiteres Mal die Düne hinauflief.
    »Aus der wird mal eine Herzensbrecherin, wie sie im Buche steht«, meinte Rob, doch Johnny merkte, dass sein Bruder mit den Gedanken längst wieder bei Trimaranen war. Was ihm durchaus gelegen kam, da er sie lieber über Robs Schulter hinweg beobachtete, um sie ganz für sich zu haben.
    Später an diesem Abend gingen sie alle zusammen am Strand spazieren, weil gerade Vollmond war – Johnnys Mutter begründete ihre Unternehmungen ständig mit irgendwelchen Hippie-Argumenten. Auf dem Rückweg zum Haus meinte Clemmie, sie wolle noch eine Runde im Meer schwimmen, und Johnny ertappte sich dabei, dass er hinter den anderen hertrödelte. »Die See ist ziemlich rau, ich behalte sie lieber mal im Auge«, sagte er zu niemand Bestimmtem. Auch als sie meinte, sie brauche keinen Aufpasser, immerhin sei sie schon fast zwölf und groß genug, um allein schwimmen zu gehen, setzte er sich in den Sand, während die anderen weitergingen.
    »Ich werd dann mal eine rauchen«, erklärte er.
    Sie zuckte lediglich mit den Schultern. »Das ist ein freies Land.«
    Verdutzt sah er zu, mit welcher Unbekümmertheit sie sich das Kleid über den Kopf zog und ihr Höschen abstreifte, ohne ihn anzusehen. Sie rannte los und quiekte laut, als die Wellen über ihr zusammenschlugen.
    »Komm rein!«, schrie sie.
    Es fühlte sich toll an – diese Einladung, sich ebenfalls in die kalte, nasse Welt zu stürzen, wo das Leben tobte. Johnny setzte grundsätzlich keinen Fuß in die eisigen Gewässer Englands, sondern bewegte sich ausschließlich auf ihnen, aber das würde er ihr nicht verraten. Er rühmte sich, niemals nass zu werden, selbst wenn das Beiboot ausnahmsweise kenterte. Dann trat er nämlich auf das Kielschwert, sodass sich der Rumpf zwischen seinen Füßen befand, und richtete es wieder auf, ohne dass dabei auch nur seine Zehen nass wurden. »Angsthase!«, rief sie und stürzte sich in die nächste Welle, wobei ihr blankes Hinterteil im fahlen Mondlicht schimmerte.
    »Komm rein, Johnny!«
    Sie winkte ihm zu, nass und glitschig. Er konnte ihre hübschen kleinen Brüste erkennen und hatte zum ersten Mal das Gefühl, am falschen Ort zu sein – hier, im trockenen Sand, obwohl es im Wasser, wo sie war, viel schöner zu sein schien.
    »Hilfe!«, kreischte sie und tat so, als würde sie ertrinken. »Haie!« Sie tauchte unter, streckte die Beine in die Luft und marschierte auf den Händen durch den Sand.
    Zu seiner eigenen Verwunderung sprang er auf, zog seine Sachen aus und rannte los. »Der Retter naht! Hab keine Angst!«, schrie er und stürzte sich ins kalte Wasser. »O Scheiße!«, stöhnte er auf, als die eisigen Fluten seine Hoden umspülten und er den heftigen Sog der Strömung spürte.
    Clemmie paddelte scheinbar ertrinkend auf ihn zu. Er packte sie bei der Hand, zog sie mit einer schwungvollen Bewegung aus dem Wasser und hob sie heldengleich auf seine Arme.
    »Ich hab dich! Du bist in Sicherheit! Okay, wo ist dieser gemeine Hai?« Er spannte seinen Bizeps an.
    Sie stieß ein kehliges Lachen aus – ihr Lachen war ihm bereits vorher aufgefallen –, schlang ihre Beine um seine Taille und klammerte sich an ihm fest. Er spürte ihren nackten Unterleib an seinem Bauch. Ihre Brustwarzen streiften seine Brust. Trotz der eisigen Kälte wurde sein Schwanz hart.
    Sie sah ihm ins Gesicht. Nur wenige Zentimeter trennten sie voneinander, und ihr Gelächter war erstorben. Ernst blickten sie einander in die im Mondschein leuchtenden Augen. Ein eigentümliches Gefühl überkam Johnny. Eine tiefe Wärme durchströmte seinen gesamten Körper, und ihm war, als würde eine Lücke, die ihm bislang nie aufgefallen war, plötzlich geschlossen werden. Mit unerschütterlicher Klarheit wurde ihm bewusst, dass er die gesamten vierzehn Jahre seines bisherigen Lebens auf diesen Moment gewartet hatte. Genau das war es; das, worum es im Leben wirklich

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