Die Stimme der Jägerin (German Edition)
Übersee gab es Berichte über einen Zustrom. Das Tribunal war an den internationalen Bemühungen zum Aufspüren der Quelle beteiligt.«
Silber hatte die Tendenz, Zaubersprüche aufzunehmen, und konnte als Speicher für magische Energie verwendet werden. Silber aus Anderländern war besonders magiesensitiv und sehr teuer, magiesensitives Silber war wertvoller als Gold. »Und aufgrund der ursprünglichen Vermessungsberichte hast du nicht damit gerechnet, etwas zu finden«, sagte sie.
»Ganz genau«, bestätigte er. Ein ironischer Zug lag auf seinem Gesicht, als er sich durch die Haare fuhr. »Ich wollte das Büro besichtigen, einen kurzen Blick in die Finanzdaten der letzten paar Jahre werfen, ein paar Steaks auf Spesenkosten essen und ein paar Filme auf HBO gucken.«
Als sie sah, wie ihm das dichte, dunkel gelockte Haar wieder in die Augen fiel, spürte sie abermals einen Schub der Erregung. Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Platz hin und her. »Was ist passiert?«
»Scott Bradshaw«, sagte er und verzog den sinnlichen Mund. »Die Firma liegt natürlich auf einem eingezäunten Gelände. Das Büro des Geschäftsführers befindet sich direkt am Eingang, weit genug entfernt vom Minenbetrieb, dass ich von dort aus die Magie der Übergangspassage nicht spüren konnte. Aber Bradshaw hat sich quergestellt. Erst wollte er mir den Zutritt zum Gelände verweigern, dann den Einblick in die Bücher. Er führte sich so nervös auf, dass ich nach der offiziellen Inspektion beschloss, für ein oder zwei Nächte mein Lager in der Nähe aufzuschlagen, um das Gelände im Auge zu behalten.«
Luis war nicht nur Sex am Stiel, er war auch noch klug, und das war der Grund, warum Claudia ihn so verdammt sexy fand. Nicht, dass sie auf jüngere Männer gestanden hätte oder überhaupt an Sex interessiert gewesen wäre. Sie rieb sich das Gesicht. Nein, das hatte sie von diesem Tag gewiss nicht erwartet. »Was hast du beobachtet?«
Erneut überprüfte Luis den Inhalt des Kühlschranks und nahm die letzten beiden Flaschen Tee heraus. Eine davon reichte er ihr. »Ich habe nachts Lastwagen mit Lebensmitteln auf das Gelände fahren sehen«, sagte er. »Frito-Lay, Dolly Madison, ConAgra. Chips, Süßigkeiten, Fertiggerichte.«
Sie dachte darüber nach. »Ist die Mine rund um die Uhr in Betrieb?«
Er öffnete die Flasche und trank. »Nein.«
Sie trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Dann betreiben sie auch keine Cafeteria, für die sie das ganze Essen bräuchten. Könnten sie die Lastwagen zum Schmuggeln benutzen?«
»Der Gedanke war mir auch gekommen«, sagte Luis. »Und dann kam mir ein anderer.« Sein Gesichtsausdruck wurde grimmig. »Was wäre, wenn sie das ganze Essen wirklich brauchen? Wen würden sie damit füttern, und wo sind diese Leute? Gestern habe ich gezählt, wie viele Minenarbeiter am Morgen zur Arbeit kamen, und genauso viele sind am Abend wieder gegangen.«
Mit verengten Augen sah sie ihn an. »Du glaubst, es sind Leute auf der anderen Seite?«
Er begegnete ihrem Blick. »Ich glaube nicht, dass es eine angenehme Antwort auf die Frage nach den Lastwagen gibt.«
»Herrje«, murmelte sie. Ihre Gedanken rasten. Lebensmittellaster konnten eine Tarnung für fast alles sein, für Waffen und Drogen, für magiesensitives Silber und für Personen. Was ging auf der anderen Seite dieser Passage vor sich? Gab es unregistrierte Arbeiter? Zwangsarbeiter?
Sklaven?
»Weißt du, am College habe ich mich sehr für Philosophie interessiert«, sagte er halblaut. »Aber einmal habe ich im Unterricht einen Ausdruck gelesen, den ich nie verstanden habe. In dem Text ging es um Naturkatastrophen, du weißt schon, Überschwemmungen, Erdbeben, solche Sachen, die dort ›das Böse in der Welt‹ genannt wurden. Aber nur weil solche Dinge uns vernichten können, sind sie deshalb doch nicht böse.«
»Du meinst, weil es nur Ereignisse sind?«, fragte sie.
»Ganz genau«, sagte Luis. »Sie geschehen einfach. Ich glaube, das Böse in der Welt ist unsere Veranlagung zur Bosheit und Gemeinheit. Wenn wir die Entscheidung treffen, etwas zu tun, das großes Leid anrichtet – wie die Scott Bradshaws dieser Welt.« Er sah sie mit einem schwachen, verzerrten Lächeln an. »Bis zu dem Punkt, an dem ich angeschossen wurde, bleibt nicht mehr viel zu erzählen. Ich kletterte über den Zaun und kam nahe genug an die eigentliche Mine heran, um die Übergangspassage zu spüren. Ich sah mich um, konnte sie aber nicht entdecken. Als ich mich gerade
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