Die Stimme des Blutes
eigenen Burg werden?«
Sie schaute ihn nur stumm an.
»Gib Antwort, du dummes Mädchen!«
»Ja.«
»Gut. Es soll also geschehen. Wenn ich dich nachher entlasse, Daria, gehst du zu deiner Mutter und sagst ihr, daß ich sie sehen will. Cora hat mir Appetit auf mehr gemacht.«
Darias Vater war vor vier Jahren durch einen Unglücksfall bei einem Turnier in London ums Leben gekommen. Ihr Onkel hatte die Witwe seines Halbbruders, ihre sanfte, freundliche Mutter, zu sich genommen, ob sie wollte oder nicht. Lady Katherine hatte darüber zu Daria nie ein Wort verloren, sich nie beklagt und nie geweint. Manchmal kam sie mit niedergeschlagenen Augen und geschwollenen Lippen aus dem Zimmer von Lord Damon. Daria und alle Bediensteten wußten Bescheid und sprachen darüber. Jetzt fragte sie ihn: »Wer soll denn mein Ehemann sein?«
»Also interessierst du dich doch dafür, wie? Du wirst dich zweifellos über meine Wahl freuen.« Sie sah die Bosheit in seinen blaßblauen Augen und ahnte, daß sie sich nicht freuen würde. Dann sagte Damon, jedes Wort genießend: »Nun, es ist Ralph von Colchester, der älteste Sohn des Grafen von Colchester. Sie waren im November auf Reymerstone zu Besuch, erinnerst du dich? Ralph sagte mir, daß du ihm und seinem Vater sehr gut gefällst.«
»Nein, doch nicht Ralph von Colchester! Das kannst du nicht tun! Er ist abscheulich! Er hat Anna ein über das andere Mal Gewalt angetan, ihr ein Kind gemacht und ...«
Damon brüllte vor Lachen. Ihre Reaktion erfüllte ihn mit tiefer Genugtuung. »Ja, das weiß ich. Ich hatte schließlich mit ihm gewettet. Sein Vater und ich wünschen, daß er in der Ehe mit dir schnell Kinder zeugt. Und um zu sehen, ob er das fertigbringen würde, stellte ich ihm Anna zur Verfügung. Er hat sie rasch geschwängert. Wir waren höchst zufrieden.«
Daria war abgestoßen, aber keineswegs überrascht. »Was hast du ihm denn für einen Wetteinsatz geboten?«
Damon lachte wieder. »Das goldene Halsband deiner Mutter, das ihr mein Halbbruder zur Hochzeit geschenkt hat.«
Sie zuckte die Achseln. »Es ist nicht viel wert.«
Daria hatte keine deutliche Erinnerung an ihren Vater. Er war so oft weggewesen, und selbst bei seinen seltenen Aufenthalten auf Fortescue Hall hatte er sie kaum beachtet. Sie war ja ein Weib, dessen einziger Wert für ihn in einer vorteilhaften Vermählung lag. Dennoch war er bestimmt nicht so gemein wie sein Halbbruder gewesen.
»Was hast du Ralph und seinem Vater geboten? Mein ganzes Erbe?«
»Nun, den größten Teil. Aber ich mag deine freche Zunge nicht. Also hüte dich! Ja, Colchester wird fast deine ganze große Mitgift erhalten. Dafür bekomme ich von ihm Ländereien, die meinen Besitz bis zur Nordsee vergrößern werden. Darauf habe ich lange genug warten müssen. Der junge Ralph war im vergangenen Jahr schwer erkrankt. Man wußte nicht, ob er durchkommen würde. Ich wartete also ab. Er wurde wieder gesund und hat seine ungebrochene Zeugungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Ja, kleine Daria, nun bekomme ich alles, was ich mir immer gewünscht habe.«
»Aber es ist mein Geld, mein Erbe. Mein Vater hat mir alles vermacht. Du hast kein Recht darauf!«
Damon warf die Felle zurück, stand auf und schritt nackt auf Daria zu. Einen Augenblick dachte sie, er würde sie schlagen. Doch er tat es nicht. Er schlug sie nie. Das war nicht seine Art. Er sah sie nur lächelnd an und ließ sich seinen Zorn nicht anmerken.
»Geh jetzt!« sagte er. »Deine Mutter wird alle Vorbereitungen für deine Reise nach Colchester treffen. Du bekommst ganze Wagenladungen von Haushaltsgütern mit. Ich verfahre mehr als großzügig mit dir, der Erbin von Reymerstone. In drei Wochen brichst du auf. Selbstverständlich komme ich dann zur Hochzeit. Und wenn du dich fügsam zeigst, bringe ich auch deine Mutter mit. Und jetzt geh!«
Sie warf noch einen Blick auf das verhaßte blasse Gesicht, drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
Danach weinte sie darüber, daß sie Ralph von Colchester heiraten mußte. Ihre Mutter hatte ihr tröstend versichert, jede Heirat sei besser, als hier zu bleiben. Sie solle sich wie eine Lady benehmen. Mit Würde und Gehorsam.
Aber Daria verachtete den 20jährigen Ralph mit seinem fliehenden Kinn, den krummen Beinen und dem argwöhnischen Blick. Sie hatte erlebt, was er der 14jährigen Anna angetan hatte, die trotz ihrer großen Brüste nur ein hübsches, dummes Kind war. Eine Woche lang hatte Ralph sie zweimal am Tag mißbraucht. Und die
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