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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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versetzte sie in Wut. Dann dachte sie immer: Er hat mich ja nur geschlagen. Und sie beschloß, ihn noch einmal zu fragen. Nicht anmaßend, sondern sehr zurückhaltend, wie sie es sich bei ihrem Onkel angewöhnt hatte.
    Ena trat zurück und legte die Arme vor der dürren Brust übereinander. »Ihr seid gewachsen, ein paar Zentimeter seid Ihr jetzt größer. Man sieht schon Eure Fußgelenke, und Euer Kleid spannt sich über Euren Brüsten. Ihr braucht neue Kleider. Und wenn nicht, dann wenigstens Stoff, so daß wir Euch was Passendes nähen können. Ihr müßt den Grafen bitten, Euch einen hübschen Wollstoff zu besorgen...«
    »Genug davon, Ena! Ich werde ihn, verdammt noch mal, nicht um Stoff bitten. Es ist mir gleich, ob der Anblick meiner Fußgelenke anstößig auf dich wirkt - es ist mir egal.«
    »Ach, wenn wir doch nur abreisen könnten! Dann könntet Ihr Ralph von Colchester heiraten, wie es geplant war.«
    Bei diesem scheußlichen Gedanken überlief Daria ein Schauder. »Lieber werde ich Nonne.«
    Diese ironisch klingenden unfrommen Worte veranlaßten Ena zu einem lauten Stöhnen. »Ralph von Colchester sollte aber Euer Gatte werden! Auch wenn er ein schwacher Mensch ist, er wäre immer noch Euer Gatte, und darauf kommt es an. Er ist wenigstens kein wilder Räuber, der besser Priester geworden wäre, wie der Verrückte, der Euch hier gefangenhält und Euch in seiner feuchten Kapelle beten läßt, bis Ihr Wadenkrämpfe und rotgescheuerte Knie bekommt!«
    »Ich möchte mal wissen«, überlegte Daria laut, ohne ihre Zofe zu beachten, »ob Ralph von Colchester mich immer noch gern heiraten würde. Ich glaube, ihm geht es nicht um meine Tugend oder die meines Entführers, sondern nur um die Größe meiner Mitgift. Und zusätzlich hängt es davon ab, wie nötig sein Vater Geld braucht. Vielleicht frage ich mal den Grafen.«
    Sie drehte sich um und ging zum Fenster, das eigentlich nur ein schmaler Spalt war, vor dem ein Fell hing, das bei schlechtem Wetter heruntergelassen wurde. Doch an den letzten drei Tagen hatte warm die Sonne geschienen.
    Dennoch schauderte es Daria. Sie blickte in den Innenhof von Burg Tyberton hinunter. Dies war eine große Festung, ihre Besatzung ging in die Hunderte, überall traf man Menschen, Tiere und Dreck. Ruhe herrschte nur sonntags beim Gottesdienst.
    Edmond von Clare war streng religiös. Jeden Morgen kniete er von 5 bis 7 Uhr in der kalten Kapelle von Tyberton. Dann hielt der Priester für ihn eine Privatmesse. Nur für ihn allein, wofür das Burgvolk dankbar war. Doch in den letzten vier Tagen hatte der Graf vor Wut gerast, weil sein Priester während eines nächtlichen Unwetters Tyberton aus unbekannten Gründen und mit unbekanntem Ziel verlassen hatte.
    Daria ahnte jedoch den Grund, wie wohl die meisten Bewohner von Tyberton. Der Priester fühlte sich den von Clare verlangten Strapazen nicht gewachsen. Er war dick und faul, und die vielen Messen hatten ihm schwer zugesetzt. Er hatte die kalte, dunkle Kapelle und die endlosen Stunden gehaßt, in denen er Clare von seinen Sünden freizusprechen hatte. Daria hatte gehört, wie er sich mit unterdrückter Stimme bitterlich darüber beklagte.
    Jetzt also stand die Kapelle leer. Es gab keine Messe mehr, bei der man durch die feuchtkalte Luft bis auf die Knochen fror. Der Priester war fort. Und außer dem Grafen waren alle Leute zufrieden.
    Daria hatte sich immer gewundert, daß ein so religiöser Fanatiker wie der Graf kein Wort Latein sprach. Der Priester hatte seinen Sermon dahingenuschelt, denn er konnte selber die Hälfte der lateinischen Worte nicht richtig aussprechen. Doch der Graf hatte nichts bemerkt.
    Daria beherrschte wie ihre Mutter, die ihre Lehrerin gewesen war, Latein in Wort und Schrift. Sie hatte es dem Grafen aber nicht verraten.
    Jetzt klopfte es an der niedrigen Zimmertür. Es war einer der Männer des Grafen, der junge Clyde mit dem schmalen Kopf, der Daria immer mit den Augen auszukleiden schien.
    »Der Graf wünscht Euch zu sehen«, sagte er und verschlang sie mit den Blicken.
    Sie nickte nur und wartete, bis er sich zurückzog, was er schließlich mit saurer Miene tat. Einmal war sie seiner Aufforderung sofort gefolgt, und da hatte sie beim Vorbeigehen gefühlt, wie seine Hände ihren Körper abtasteten.
    »Seid vorsichtig, junge Herrin!« flüsterte ihr Ena ins Ohr. »Haltet Euch so weit von ihm entfernt wie möglich!«
    Daria schob Ena weg und ging aus dem Zimmer. Sie raffte die Röcke und schritt vorsichtig

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