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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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erreichen versteht, egal mit welchen Mitteln. Roland hatte in den Jahren seines Erwachsenendaseins oft nur überlebt, weil er den Charakter eines Mannes richtig zu deuten wußte. In den letzten fünf Jahren hatte er sich selten geirrt. Sein einziger großer Irrtum war eine Frau gewesen. Eine Lady, sehr jung und sehr schön: Joan of Tenesby.
    Der Graf nickte Roland kurz zu. Roland wußte, daß er ihn ebenfalls abgeschätzt hatte. »Dank den Heiligen, Ihr kommt zur rechten Zeit, de Tournay. Setzt Euch zu mir! Wir haben viel zu besprechen.«
    Roland nahm einen Krug Bier entgegen und wartete darauf, daß der Graf zur Sache kam.
    »Ich werde Euch gut bezahlen«, sagte Damon Le Mark.
    Roland sah ihn freundlich an und fragte: »Wen soll ich umbringen?«
    Der Graf lachte. »Ich will keinen Mörder mieten. Wenn ich einen Feind habe, erschlage ich ihn selber. Ich will einen Mann mieten, der für seinen Scharfsinn, seine Kenntnis fremder Sprachen und seine Fähigkeit berühmt ist, sich in vielen Masken der jeweiligen Situation anzupassen. Stimmt es, daß Ihr Euch zwei Jahre lang als Sarazene ausgegeben habt? Daß Ihr Euch als Moslem verkleidet habt, ohne daß Euch ein Anhänger des Korans durchschaut hat?«
    »Ihr seid gut informiert.« Die Angaben trafen großenteils zu. Doch merkwürdig, wie Rolands besondere Gaben im Munde des Grafen eher lasterhaft klangen. Roland wartete gespannt. Der Graf mußte in großer Verlegenheit sein. Die Aufgabe schien seine eigenen Fähigkeiten zu übersteigen, was ihn schwer verdroß.
    Damon Le Mark fühlte sich der Unverschämtheit des jungen Mannes vor ihm ausgeliefert, der abgesehen von seinem Ruf der Kühnheit und des Listenreichtums auch noch recht gut aussah. Das schmale Gesicht war gutgeformt, er hatte dichtes, schwarzglänzendes Haar und intelligente dunkle Augen. Doch schien er weder besonders wohlhabend noch gebildet zu sein. Er besaß keinen Titel und, was noch wichtiger war, kein Land. Er lebte von Verstellungskunst und Betrug. Dennoch mußte er, der ihm in jeder Weise überlegen war, höflich zu ihm sein und ihm viel Geld bieten. Das ging ihm an die Nieren.
    »Meine Sendboten brauchten lange Zeit, um Euren Aufenthaltsort zu ermitteln«, sagte der Graf.
    »Ich erhielt Eure Botschaft in Rouen, wo ich einen sehr angenehmen Winter verbrachte.«
    »Das habe ich erfahren.« Sein Gewährsmann hatte ihm berichtet, daß de Tournay in Rouen mit einer sehr hübschen jungen Witwe zusammengelebt habe.
    »Sie hieß Marie«, sagte Roland beiläufig und trank einen Schluck Bier. Es war warm, dunkel und sehr süffig. »Doch wollte ich sowieso in Kürze heimkehren. Sobald es hier wärmer würde.«
    »Um durch List und Tücke Geld zu verdienen?«
    »Wenn es nötig sein sollte, auch das - obwohl ich es nicht List und Tücke, sondern Verstand nennen würde. Oder gebt Ihr mir nicht recht?«
    Der Graf sah ein, daß er seinen Gast unnötigerweise beleidigt hatte, und wollte es wiedergutmachen. »Ich habe Euch aus einem äußerst wichtigen Grunde hergebeten. Es betrifft meine geliebte Nichte Daria. Ich will mich kurz fassen. Sie sollte Ralph von Colchester heiraten, wurde aber auf der Reise nach Colchester entführt. Alle zwölf Männer ihrer Begleitung wurden in einen Hinterhalt gelockt und abgeschlachtet. Sämtliche Wagen mit Hochzeitsgut wurden gestohlen. Ich will ihre Befreiung erreichen, und dafür werde ich Euch sehr gut bezahlen.«
    »Wurde schon ein Lösegeld verlangt?«
    Die Augen des Grafen verengten sich. Er fletschte die Zähne. »O ja. Dieser unverschämte, verfluchte Hurensohn! Ich wünschte, daß Ihr ihn tötet. Doch die Befreiung meiner lieben Nichte hat unbedingten Vorrang.«
    »Wer war der Entführer?«
    »Edmond von Clare.«
    »Der Markgraf? Höchst sonderbar.« Roland verfiel in Schweigen. Dieser Umstand war mehr als sonderbar. Die Markgrafen, die der große Herzog William vor fast 200 Jahren eingesetzt hatte, hatten kaum Veranlassung, sich aus ihren Burgen zu entfernen. Es sei denn nach Westen, um mehr walisisches Land zu erobern und walisische Abtrünnige zu ermorden. Sie waren eigentlich dafür verantwortlich, dank der ihnen verliehenen Macht, die Waliser im Zaum zu halten. Diese Aufgabe erfüllten sie auch mit nie nachlassender Energie und eindrucksvoller Ausdauer.
    Im Grunde waren sie kleine Könige, die in ihren Feudalreichen gewaltige Macht innehatten, was für König Edward ein ständiger Arger war. Roland wußte, daß er vorhatte, ihren großen Einfluß durch den Bau von

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