Die Strasse ohne Ende
Bewußtsein, der hungernden Welt zu helfen – oder ist es der persönliche Stolz, das Entdeckte nicht herzugeben und sich nicht zu beugen vor dem Befehl eines ›Wilden‹? Ist es dieser verdammte Stolz der weißen Rasse, der mich alles ertragen läßt? Amar Ben Belkacem hat in Paris studiert, Babaâdour Mohammed Ben Ramdan, der höchste Scheik der Wüste, besitzt eine Villa bei Monte Carlo und lebt das halbe Jahr über in Europa, angezogen wie wir, geachtet, sehr weise, ein alter Herr mit weißem Bart und weißen Haaren, die den schönen Kopf wie eine Löwenmähne umwehen. Er hat sogar eine weiße Frau – er hat seinen Harem abgeschafft ihr zuliebe. Mit straffer Hand leitet sie das große Haus in Ghardaia und den Palast in Biskra, der herrlichen Oase an den Ausläufern des Atlas. Und Khennef Said, der Pascha von Algier? Seine weiße Jacht kreuzt im Mittelmeer, er sitzt in Venedig bei den Filmfestspielen, er spielt Golf in England und fuhr bei einem Besuch Deutschlands in eine Kohlengrube bei Recklinghausen ein.
Sind das Wilde? Bekämpfen sie den weißen Mann, den sie achten und dem sie Freunde sein wollen? Den weißen Mann, der in ihrem Land herumzieht und auf kleinen Karten viele Punkte einträgt, Brunnen, Wassergräben und Wasseradern, die einmal aus der Sahara einen Garten machen, den größten, fruchtbarsten Garten der Welt, dessentwegen Blut fließen wird. Denn der weiße Mann braucht Land. Und Land ist wichtiger als Freundschaft. Es war eine schreckliche Nacht für mich. Alles in mir sträubte sich, Amar Ben Belkacem recht zu geben. Ich rannte in meiner Höhle herum, legte die Stirn an die schwitzenden Steine und spürte die Wohltat der lauwarmen Feuchtigkeit.
Ich habe nicht geschlafen. Lauschend saß ich am Eingang der Höhle, starrte auf die Lagerfeuer meiner Wächter und auf die dunklen, gestreiften Wollzelte, die Heimat der Nomaden. Vom Kamellager herüber scholl das Brüllen einiger störrischer Tiere. In ihre Djellabah gehüllt, die weiße Seite nach außen, saßen die Araber um die Feuer herum. Unten, am Fuße des Felsens, sah ich Amar Ben Belkacem. Er saß allein auf einem Stein und hatte den Kopf in die rechte Hand gestützt. Neben ihm lag ein modernes Gewehr, eine der neuen amerikanischen Schnellfeuerwaffen. Daß er allein in der kalten Wüstennacht saß, verwunderte mich. Langsam stieg ich den schmalen Pfad, der zu meiner Höhle führte, hinunter und setzte mich neben ihn, während die beiden Wächter, die mir gefolgt waren, sich zurückzogen hinter einen großen Felsblock. Amar Ben Belkacem sah nicht auf. Über uns leuchtete der Himmel – wo gibt es herrlichere Sterne als in der Wüste? Tiefe Schweigsamkeit lag über dem unendlichen Land. Es war, als habe Gott hier den Atem angehalten, um in der Stille die Schönheit seiner Schöpfung selbst zu bewundern.
»Sie können nicht schlafen?« fragte ich leise.
»Sie auch nicht?« antwortete er.
»Der Besiegte hat immer einen unruhigen Schlaf.«
»Weil ihm das Gewissen schlägt?«
»Nein, weil er darüber unglücklich ist, besiegt zu sein.«
Amar Ben Belkacem zog sein Kopftuch etwas straffer. Es war eine Bewegung, als bände er sich einen unsichtbaren Helm fester. Sein scharfes, kantiges Gesicht wurde im Widerschein des Feuers zerklüftet, wie die verwitterten Felsen bei Palestro. »Unser Sieg ist nur ein kurzer Stillstand der Zeit!« sagte er einfach. »Allah zürnt. Auch die Wüste wird uns einmal nicht mehr gehören. Das Leben auf der Erde ist stärker als die Liebe einiger Herzen.«
»Und deshalb schlafen Sie nicht?«
»Ja.«
»Was geschieht mit mir?«
»Sie werden weiter mit uns ziehen, Doktor.«
»Wie lange noch, Amar?«
Er zuckte die knochigen Schultern. »Solange Allah es will.«
»Das kann ein ganzes Leben lang sein.«
»Vielleicht, Doktor!«
Ich fühlte, wie es mich im Hals würgte. Ein Leben lang Gefangener dieser Araber? Immer auf der Wanderschaft durch die Wüste, Tag um Tag auf dem Rücken des Kamels, festgebunden mit Lederschnüren aus Eselsleder. Und draußen, jenseits der Sand- und Steinberge der Sahara, ging das Leben weiter, saß in Berlin ein Mädchen und glaubte nicht an das Schreiben einer englischen Dienststelle, in dem nüchtern mitgeteilt wurde, daß der kriegsgefangene deutsche Hauptmann Dr. Hans Sievert nach seiner Flucht aus dem Lager Tunis seit 1944 vermißt wird und mit seinem Tod in der Wüste gerechnet werden kann. Das Leben ging weiter, wie es seit fünfzehn Jahren weitergegangen war ohne mich,
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