Die Strasse ohne Ende
Erster Teil
Der Sand!
O dieser Sand!
Wie ich ihn hasse, diesen Sand! Wie ich sie hasse, diese gnadenlose Sonne, die die letzte Vernunft aus dem Gehirn saugt!
Die Felsen sogar schwitzen in der Hitze, die Luft ist ein brodelnder Kessel, der Himmel ist fahl, farblos, versengt.
Und dieser Wind … Seit Stunden, ununterbrochen weht er über die Sahara, treibt den Sand, diesen widerlichen, feinen, staubfeinen Sand, vor sich her wie eine glühende Wolke. In jede Ritze dringt er, in jedes Zelt, in jede Höhle.
Und auch zu mir dringt er. Wenn ich mit der Zunge über die Lippen wische, knirscht es zwischen den Zähnen. Mit den Fingernägeln kann ich durch die Sandschicht meines schweißnassen Gesichtes tiefe Rillen ziehen … Wie schwer und mühsam man atmen muß, um in dieser Hölle leben zu können!
Leben! Ist es denn noch ein Leben, das ich führe?
O hätte ich doch einen Spiegel hier! Wie lange habe ich mich nicht mehr gesehen? Vier Wochen? So lange ist es her? In Oued-El-Haâd war es, in einem Brunnen, da warf das brackige Wasser mein Gesicht zurück, ein mageres, eingefallenes, von einem blonden Bart umrahmtes Gesicht, ein Gesicht voll Leid, Angst, Hunger und Zerstörung … Und hinter mir saß auf seinem Rennkamel Amar Ben Belkacem und lachte.
Er lachte … Und vier Wochen ist das jetzt her! Was sind vier Wochen in der Wüste? Eine Ewigkeit für mich, ein Atemzug für Amar Ben Belkacem.
Wer weiß eigentlich noch, daß ich Hans Sievert heiße? Dr. Hans Sievert. Diplom-Ingenieur. In Berlin ist meine Wohnung … Mein Gott, wo ist jetzt Berlin? Das letzte Mal sah ich die Joachimstaler Straße im Mai 1942, genau am 23. Mai. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, und ich ging mit Hilde spazieren. Wie genau ich das noch weiß! Hilde trug ein großgeblümtes Lavabelkleid, hellblau, im Grund mit vielen farbenfrohen Blüten. Und eine weiße Kappe trug sie auf den dunklen Locken. Stolz hatte sie mich untergefaßt, mich, den großen, berühmten Bruder, den Ingenieur, der gerade seine Entdeckung auszuwerten begann. Im Wannsee schwammen wir dann über eine Stunde, lagen in der schon warmen Sonne und träumten von der Zukunft, von dem schönen, fernen, wundervollen Tag, an dem in der Welt Frieden sein würde und die ersehnte Fabrik ihre Tore öffnen sollte.
Und das ist nun fünfzehn Jahre her? Fünfzehn Jahre, in denen der Dr.-Ing. Hans Sievert als vermißt gilt? Vermißt irgendwo in Afrika … Gestern kam Amar Ben Belkacem zu mir in die Höhle, als die Wärter mir neues Essen brachten. Sein Gesicht war freundlich wie immer, seine Manieren sind die eines Weltmannes – es geht das Gerücht, daß er in Frankreich erzogen wurde und dort sogar studierte, ehe er zurückging in die Wüste, um der Scheik seines Stammes zu werden. Seine weiße Djellabah war ein wenig fleckig: Er kam von einem langen Ritt, wenn er auch nicht die geringste Müdigkeit zeigte.
»Ich habe eine Neuigkeit für Sie«, sagte er in seinem etwas rauhen Französisch zu mir. »Ich habe gestern Babaâdour Mohammed Ben Ramdan getroffen … in Bir-Adjiba. Er läßt Sie grüßen.«
Ich nickte. »Danke«, sagte ich leise. »Was wollt ihr bloß alle von mir?«
»Nichts. Sie werden sich wundern, aber es ist so.« Amar Ben Belkacem nickte und zündete sich eine seiner starken Zigaretten an. Er bot mir auch eine an, aber ich lehnte ab. Ich bin längst zu schwach, um solch eine Zigarette noch vertragen zu können. »Sie sind 1944 in die Wüste gekommen, um etwas zu tun. Sie haben die Sahara durchzogen. Sie haben etwas entdeckt … Das wissen wir, Doktor. Aber Sie sollen das, was Sie planen, nicht tun!«
»Und deshalb haltet ihr mich jetzt zwei Jahre fest?« schrie ich unbeherrscht. Aber dann bereute ich den Ausbruch; er verbrauchte nur Kraft, und er half ja doch nicht. Das Lächeln auf Amar Ben Belkacems Gesicht blieb. Wie diese Völker lächeln können! In China sah ich dieses Lächeln, in Japan, in Persien, in Ägypten, und jetzt hier in der Sahara. Ein Lächeln wie eine Maske, hinter der das Grauen lauert. Ein Lächeln, so freundlich, daß man in solch ein Gesicht hineinschlagen möchte und brüllen: »Aufhören! Aufhören!«
Ich sah zu Boden, ich konnte diese kleinen, vergnügten Augen Amar Ben Belkacems nicht mehr ertragen. Wirklich, ich bin am Ende, ich kann nicht mehr. Zwei Jahre werde ich jetzt durch die Wüste geschleppt, kreuz und quer durch Sand, Felsen, Kies und Gebirge. Auf die Kamele werde ich festgebunden, in den Zelten schlafe ich mit zwei
Weitere Kostenlose Bücher