Die Stunde des Adlers (Thriller)
wirklich.
Da die Politiker in Europa Anfang des zweiten Jahrzehnts keine durchschlagende Lösung für die Eurokrise gefunden hatten, immer wieder neu ein Land unter den Rettungsschirm genommen hatten, hatten die Markigen ständig mehr Zulauf vom Volk erhalten. Vor allem auch, weil das Establishment Angst hatte, die Bürgerinnen und Bürger wirklich mitentscheiden zu lassen. Im Nachhinein musste die politische Klasse zugeben, dass allein der Name der Partei so einleuchtend wie perfekt war: Deutsche Mark Partei. Der Name war das Programm, und wenn es der DMP passte, war markig mal liberal für Wettbewerb der Währungen, mal konservativ für Deutschland oder sogar sozial für die Menschen im Land. Und deutsch war immer gut. Seit der Einheit waren die Deutschen ja wieder unbekümmert mit ihren nationalen Symbolen von Flagge bis Hymne umgegangen.
Hinter den politischen Kampagnen steckte fast immer die schwarze Pest Kuhn, die genau wusste, dass die Zeit gekommen war. Mit immer neuen Geldspritzen und Rettungsschirmen für Griechenland, Spanien, Portugal und auch Italien hatte sich das »Friedensprojekt Euro doch ohnehin scheibchenweise zerlegt«, wie sie entwaffnend erklären konnte. Die »Schweine«, wie der willfährige Teil der deutschen Presse süffisant die Abkürzung PIGS für die vier maroden Südländer übersetzte, »sollten ihren selbst verursachten Mist allein sauber machen«.
Zur Presse hatte Frau Kuhn inzwischen beste Kontakte. Eine über Stipendien finanzierte exzellente Ausbildung an einer der besten Business Schools machte sie zu einer gefragten Gesprächspartnerin. Kuhn delegierte die Details, kümmerte sich jedoch perfekt um das große Ganze: ein Gesprächskreis hier, eine Party dort. Eine Patenschaft hier, eine Liegenschaft dort. Kuhn hatte das Netzwerk von Rebekah Brooks studiert. Der »rote Teufel« von Rupert Murdoch hatte das ganze politische Establishment Großbritanniens in der Hand gehabt. Die »Flame-Haired-Queen of Fleet Street« war ihr Vorbild, nur dass die schwarze Pest aus Berlin den Spieß umdrehte und von der politischen Seite aus agierte, intrigierte, organisierte oder spekulierte. Von Hartenstein hatte das zu spüren bekommen.
Die von Kuhn beeinflussten Kommentare in der deutschen Presse wären vielleicht noch irgendwie trotz demütigender Äußerungen mancher Politiker und den harten Spardiktaten aus Brüssel zu beheben gewesen. Doch der Streit zwischen Frankreich und Deutschland über die Eurobonds war nicht mehr beizulegen. Lange hatte sich Deutschland unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel ohnehin gegen diese Vergemeinschaftung von Schulden gewehrt. Man hatte Lösungen gefunden, die zwar anders hießen, damit sie vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen konnten, aber am Ende nichts anderes bedeuteten, als Deutschland finanziell mehr und mehr mit Hunderten von Milliarden Euro in die Pflicht zu nehmen. Solange Frankreich noch mitgarantieren konnte, hielt das fragile Band der deutsch-französischen Beziehung. Doch dann konnte Frankreich nicht mehr, die Risikoaufschläge kletterten in die Höhe, auch für Deutschland. Je höher die Zinsen gestiegen waren, desto schlechter wurde die Stimmung gegen den Euro in Deutschland, bis es die etablierte Koalition zerriss. Es kam zu vorgezogenen Neuwahlen.
Das war die Stunde der Markigen. Wie bei einer dreckigen Scheidung fingen die ehemaligen Partner an, sich gegenseitig zu belauern, machten sich Vorwürfe und versuchten, ihr Hab und Gut zu retten. Der Wahlkampf war schmutzig gewesen; denn die etablierten Parteien und Politiker hatten plötzlich das Volk gegen sich, wenn sie gegen die Markigen argumentierten. Je mehr sich aber die Reihen der klassischen Parteien schlossen, desto mehr trieben sie Frustrierte und Nichtwähler in die Arme der Markigen, die so die Wahlen gewannen und mit Überläufern die notwendige Mehrheit im Bundestag hatten.
Da war es zu spät. Dumme Zufälle, wie es sie in der Geschichte immer gegeben hatte, hatten zuvor schon zu mehreren vorgezogenen Neuwahlen in Landesparlamenten und zu Erfolgen der DMP geführt. So blockierten sich schließlich etablierte und neue Parteien, einzelne Traditionalisten und angeblich Moderne und vor allem Junge und Alte. Bis das Wort von Weimar die Runde machte, hatten die Markigen genügend Mandate erobert – alles ganz demokratisch, wie Lautsprecherin Kuhn immer wieder betonte.
Erbost hatte der französische Präsident Émile Dévrent nach der brüsken Abfuhr durch den neuen
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